Unter dem Pflaster, da liegt das Land

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1. Was war damals (um 1968) persönlicher Auslöser, Dein Umfeld und Deine Hauptaktivität?

1968 kam ich aus Indien zurück, nach 5 Jahren Arbeit am Goethe-Institut. Ich begann ein Zweitstudium in Soziologie in Köln und geriet sofort in die Studentenbewegung.

2. Was ist für Dich ein für die 68er-Zeit besonders typisches persönliches Erlebnis?

Persönlich wurde ich vor allem durch das von Dorothee Sölle und anderen gegründete Politische Nachtgebet inspiriert. Zum ersten Mal fanden politische Diskussionen zu Vietnam und anderen brennenden Fragen in einer Kirche statt. Mit anderen Freunden und Freundinnen führte ich dort Nachtgebete zum Teufelskreis Entwicklungshilfe, zur Frauenemanzipation und zu anderen Themen durch.

3. Was war damals das Wichtigste, was es Deiner Meinung nach zu erreichen galt?

Am wichtigsten fand ich damals, wie heute, den Kampf gegen den immer noch herrschenden Kolonialismus, das Patriarchat und das Kapital.

4. Was hat die 68er-Bewegung tatsächlich erreicht?

Die 68er Bewegung hat durch ihre Aktionen und Diskussionen tatsächlich diese kapitalistischen Verhältnisse „zum Tanzen gebracht“. Viele der Veränderungen von damals wirken bis heute.

5. Welches sind wesentliche Ziele, bei Denen Du ein Scheitern der 68er-Bewegung siehst? Und wie kam es dazu?

Das Scheitern dieser Bewegung sehe ich vor allem darin, dass viele nur Gleichberechtigung im herrschenden System anstrebten, nicht die Abschaffung dieses Systems. Sie unterschätzten die Macht des Kapitals.

6. Womit ist damals versucht worden, die 68er-Bewegung zu Fall zu bringen?

Der Radikalenerlass spielte bei der Anpassung an das System eine entscheidende Rolle. Die Radikalen wurden bestraft und die Braveren wurden durch Aufstiegschancen belohnt. Dieser Prozess wurde vor allem nach der Parteigründung der Grünen gefördert.

7. Womit wird heute im nachhinein versucht, die Auswirkungen der 68er-Bewegung kaputt zu machen?

Heute wird die 68er-Bewegung vor allem dadurch zerstört, dass sie zu einem rein kommerziellen Medienspektakel gemacht wird. Dabei spielt aber auch die Nostalgie mancher 68er eine Rolle.

8. Wo und wie siehst Du für heute die Notwendigkeit einer ähnlichen Bewegung wie 1968? Was möchtest Du der heute jungen Generation vermitteln?

Ich habe Zweifel, dass eine Bewegung wie die von 1968 heute wieder möglich ist. Eine neue politische Bewegung ist zwar absolut notwendig. Sie dürfte sich aber nicht nur auf die Jungen beschränken. Die Situation ist heute anders als damals. Heute kann es nicht mehr nur um Gleichberechtigung aller Entrechteten gehen, sondern um die Erhaltung unseres Planeten. Dazu müsste eine neue Bewegung den Lebensstil in den reichen Ländern grundsätzlich in Frage stellen und nach einer wirklichen Alternative zu diesem System suchen. Ob Junge und Alte dazu bereit sind?

9. Was gibt es sonst noch, was Dir wichtig ist, zum Ausdruck zu bringen?

Diese andere, bessere Welt hat m.E. aber schon begonnen. Sie kommt nicht mit großem Getöse und einem Big Bang sondern durch oft unscheinbare Ansätze, andere Verhältnisse zwischen Menschen und zur Natur zu schaffen. Ich nenne das die Subsistenzperspektive.



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ca. 10.000 Jahre alte Muttergottheit aus Harappa im Indus-Tal - repräsentiert den Zusammenhang

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Maria Mies mit einer Publikation über die verstorbene Mitstreiterin Dorothee Sölle (politisches Nachtgebet)



Maria Mies: geboren 1931 als Kind einer Bauernfamilie in der Eifel +++ kann als erstes Mädchen ihres Dorfes eine Höhere Schule besuchen +++ wird Lehrerin für Englisch und Deutsch +++ arbeitet von 1963 bis 1968 als Lektorin für Deutsch am Goethe-Institut in Puna, Indien +++ studiert Soziologie an der Universität Köln +++ gerät dort mitten in die deutsche Studentenbewegung, von der sie stark beeinflusst wird +++ promoviert über indische Frauen +++ wird Professorin für Soziologie am Fachbereich für Sozialpädagogik an der Fachhochschule Köln +++ gründet mit ihren Studentinnen 1976 das erste autonome Frauenhaus in Deutschland +++ war und ist bis heute eine Aktivistin und Theoretikerin der Internationalen Frauenbewegung +++ ist von 1979 bis 1982 Gastprofessorin am Institute of Social Studies in Den Haag +++ untersucht die Zusammenhänge zwischen Patriarchat und Kapitalismus +++ engagiert sich in Ökologiebewegung, Friedensbewegung und Bewegung gegen Kolonialismus +++ kämpft seit 1997 aktiv gegen die neoliberale Politik, die durch die WTO und andere Organisationen weltweit die ‘Liberalisierung’ und Privatisierung aller Wirtschaftsbereiche durchsetzen will +++ ist in Deutschland Mitbegründerin der Bewegung gegen das MAI (Multilateral Agreement on Investment) +++ gibt den 'Infobrief gegen Konzernherrschaft und neoliberale Politik' heraus +++ veröffentlicht Bücher wie „Frauen, die letzte Kolonie“, „Patriarchat und Kapital“, „Ökofeminismus“, „Die Subsistenzperspektive“, „Lizenz zum Plündern“, „Globalisierung von unten“, und „Krieg ohne Grenzen“. 2008 ist ihre Biographie „Das Dorf und die Welt – Lebensgeschichten, Zeitgeschichten“ erschienen




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