AIZ-Reportage 'Hunger im Frankenwald', 1930


Texte der abgebildeten AIZ-Doppelseite

Bildunterschrift links oben: Die Landschaft des Frankenwaldes ist herrlich und wegen ihrer gesunden Luft berühmt - trotzdem siechen die Proletarier des Frankenwaldes an Tuberkulose und Unterernährung dahin.

Bildunterschrift rechts Mitte: Diese Arbeiterfrau aus Schwarzenstein ist ein Opfer der Wohnungsnot und des Hungers. Sie muß ihr Bett mit einem geistesgestörten Mann teilen und trotz ihrer offenen Lungentuberkulose mit täglichem Nachtschweiß schläft auch ihr 7 1/2 jähriges Kind neben ihr. Ein Bett für das Kind ist nicht vorhanden - seien Lagerstatt sind zwei Stühle

Bildunterschrift unten links: Handstickerinnen aus Enchenreuth. Sie verdienen trotz angestrengter Tag- und Nachtarbeit täglich kaum mehr als 1 Mark

Bildunterschrift unten rechts: Bayerischer Waldarbeiter. Er erhält 63 Pfg. Stundenlohn. Da nur während einiger Monate im Jahr Arbeit vorhanden ist, suchen die Waldarbeiter in der Fremde Beschäftigung

Text: Die Not der deutschen Kleinbauern und Landarbeiter ist groß. Geht hinaus aufs Land und studiert einmal die Lebensformen dieser Eurer Klassengenossen! Mit Sonnenaufgang beginnt ihr Arbeitstag und endet spät in der Nacht. Besonders die Frauen und Kinder seht Euch an. Wie sie wohnen, wie sie essen, wie sie sich ducken vor den Pfaffen und Großgrundbesitzern. In Bayern ist der reaktionäre Einfluß des Klerus und des Braukapitals besonders unheilvoll. Von Weihrauch benebelt, erkennen diese Arbeitstiere nur unklar ihre Klassenlage. In einigen Gegenden ist die Not und das Elend unbeschreiblich.

Im nördlichsten Zipfel Bayerns, ganz nahe dem Faschistenreiche Fricks, ist eine Berggegend - der Frankenwald. Grenzenloses Elend herrscht in dieser herrlichen Landschaft. Das Dörflein Schwarzenstein mit etwa 600 Einwohnern wird von einem Bürgermeister beherrscht, der gleichzeitig Besitzer eines großen Sägewerkes ist. Er versteht es ausgezeichnet, sein Amt im privaten und geschäftlichen Sinne zu mißbrauchen. Mit Hilfe von fünf nationalsozialistischen Gemeinderäten setzt er seine skandalöse Geschäftsunordnung durch. Die Bewohner des Dorfes ernähren sich kümmerlich. Sie sind fast ausnahmslos Schanzenbinder. Das Körbeflechten ist eine schwere Arbeit und obwohl die ganze Familie mitarbeitet, ist das Monatseinkommen selten höher als 60 RM pro Familie. Das Material (Rohr, Reifen, Fichtenwurzeln) muß gekauft werden. Im nahen Walde darf man es nicht holen, denn das ist Waldfrevel und wird mit 50 RM bestraft. Und da die Strafe nie bezahlt werden kann, wird sie abgesessen. Weil der Verdienst nicht ausreicht und manche Materialien nirgends käuflich sind, muß der Korbflechter bei Tagesgrauen in den Wald. Stundenlang schleppen sie die gepflückten Beeren zum Verkauf und sind glücklich, wenn sie in der Woche damit ein paar Mark verdienen. Die tägliche Hauptmahlzeit besteht zumeist aus einem einzigen Hering und Kartoffeln für die ganze Familie. Geradezu grauenhaft sind die Wohnverhältnisse. Nicht selten bewohnen 7-10 Personen einen einzigen Raum, in dem sie arbeiten, wohnen, essen und schlafen. Die Häuser sind baufällig, feucht und die schadhaften Oefen berußen Decken und Wände. Von unterernährten meist kranken Kindern wimmelt es überall.

Den geschäftstüchtigen Bürgermeister stört dieses Elend nicht. Als aber die Frankfurter Zeitung auf einen besonders krassen Fall hinwies, da war es eben dieser Bürgermeister, der die hierauf eingegangenen Spenden von dem Vertrauensmann ausgehändigt haben wollte. Der Arbeitervertreter, welcher sich mit großer Hingabe für die Armen des Dorfes verwandte, sollte das Geld nicht verwalten dürfen, sondern der Pfarrer. Die Proleten ließen sich nicht einschüchtern und sie werden sich auch durchzusetzen wissen gegen die gesamte reaktionäre Sippe und solange die Oeffentlichkeit mobilisieren, bis auch in Schwarzenstein geordnete Zustände und ein menschenwürdiges Dasein für alle Bewohner möglich sind. In mehreren Dörfern hungern und arbeiten die Handweber. Ihr mittelalterliches Gewerbe vermag sie nicht mehr zu ernähren. Trotz vierzehnstündiger Arbeitszeit verdienen Mann und Frau bei anstrengster Arbeit zusammen höchstens 16 RM in der Woche. Lange Wochen hatten sie keine Aufträge und mußten mit 8 RM Unterstützung dahinvegetieren.

Die Handstickerei wird besonders in Enchenreuth ausgeübt. Es gibt wenig Arbeit, denn die Mode hat sich geändert. Der Verdienst ist noch schlechter als in den Weberdörfern. Obwohl auch hier vom kleinsten Kinde bis zum Großvater alles mit arbeitet, beträgt der durchschnittliche Wochenverdienst kaum 8 RM. Das Wohnungselend hat auch dier ganz krasse Formen angenommen.

Zwei Flößerdörfer, Steinwiesen und Wallenfels sind in ihrer Existenz bedroht. Besonders das letztere, das keine Bahnverbindung hat, ist zur Arbeitslosigkeit verurteilt. Eine plötzliche Absatzstockung auf dem Holzmarkt macht das Dorf brotlos, das seit Urgroßvaters Zeiten nur vom Holz lebte. Als Waldarbeiter und Flößer hatten die Männer ein gutes Einkommen, jetzt aber sitzen die kräftigen, arbeitslustigen Burschen untätig herum. Händel und Streit sind an der Tagesordnung. Im Gasthaus erzählt ein junger Arbeiter, wie ein adliger Waldbesitzer in Oberbayern die Not dieser Arbeitslosen ausnutzte. "Mit 15 Mark bin ich von zuhause weggegangen. Wir waren 60 Mann und arbeiteten wie die Pferde. Dort, wo keine Pferde hinkonnten, im sumpfigen Gelände, wurden wir eingesetzt. Der Forstmeister behandelte uns schlimmer als das Vieh. Um 1/2 4 begann die Arbeit und endete abends um 1/2 9 Uhr. Dabei verdienten wir in der Woche 15 RM. Unser Nachtlager war ein Strohsack. Der Regen hatte zum Massenlager freien Zutritt. Wenn wir durchnäßt nach Hause kamen, hatten wir keine Möglichkeit, die Kleider zu trocknen. Das Essen bestand aus Kaffee und Brot am Morgen und am Abend aus einer dünnen Suppe und fettem, ungenießbarem Schweinefleisch. Für Kost und Schlafen mußten wir täglich 2 RM bezahlen. Sieben Wochen haben wir da geschuftet, dann hielten wir es nicht mehr aus. Keinen Pfennig konnten wir erübrigen, meine 15 RM sind auch drauf gegangen. Mehrer Kollegen konnten nicht einmal mehr heimfahren, weil die Familien das Reisegeld nicht aufbringen konnten."

Solche Zustände gilt es in Deutschland zu beseitigen. Das kann nicht geschehen durch papierne Proteste, sondern nur durch den geschlossenen Kampf aller Ausgebeuteten. Der nächste Schritt zur Bildung einer festen, kampfentschlossenen Front aller Ausgebeuteten muß am 14. September getan werden, durch die Wahl der einzigen Partei, die komprißlos für ihre Interessen kämpft!

E. H.



Bildunterschrift oben links: Die einzige Dampfsäge in Wallenfels, die noch arbeitet. Die andern vier Sägen sind fast gänzlich stillgelegt

Bildunterschrift oben rechts daneben: Alter Flößer aus Wallenfels

Bildunterschrift links Mitte: Handweber aus Bernstein. Er verdient mit seiner tochter bei 14stündiger Arbeitszeit höchstens 16,-- Mk. pro Woche. Er selbst sagt, daß sein Mittagessen schlechter als Hundefutter ist

Bildunterschrift links unten: Der einzige Mann mit gutem Auskommen ist der Wirt - dafür sorgt der Fremdenverkehr und die bayerische Biertradition Bildunterschrift rechts oben: Sechzigjähriger Schanzenbinder, der trotz seiner Krankheit noch arbeiten muß, um nicht zu verhungern

Bildunterschrift rechts Mitte: Die Kartoffeln sind die Hauptnahrung der Frankenwalder Proletarier. Unbeschreiblich ist das Kinderelend. Vom fünften jahr an müssen die Kinder beim Weben mithelfen. Die Schulpflichtigen arbeiten schon vor Schulbeginn und nach Beendigung des Unterrichts bis zum späten Abend

Bildunterschrift rechts darunter: In dieser engen Bodenkammer eines Echenreuther Hauses schlafen drei Kinder. Dicht neben dem Bett ist der Verschlag der Jauchegrube. Durch das Loch (+) dringt ein grauenhafter Geruch, der die Luft Tag und Nacht verpestet

Bildunterschrift rechts unten: Berauf, bergab schleppen die Frauen im Rückenkorb die Lasten. Sie werden von der Arbeitslosigkeit der Männer am schlimmsten betroffen, denn sie müssen für den kärglichen Verdienst und die Haushaltsarbeit sorgen