Köln, 17.3.2001, Komitee gegen amtlichen Rassismus - Aktion im Kölner HauptbahnhofBilder

KogamRa - Komitee gegen amtlichen Rassismus

Deutscher Text des mehrsprachigen Faltblatts

Sehr geehrte Bahnhofsbenutzerinnen und -benutzer!

Sicherlich nutzen Sie als ReisendeR oder PassantIn mehr oder weniger regelmäßig den Kölner Hauptbahnhof. Er ist ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt unserer weltoffenen Domstadt. Damit sich Menschen hier 'sicher' fühlen, werden sie von Dutzenden von Videokameras ständig überwacht. Zudem sollen BeamtInnen des Bundesgrenzschutz (BGS) für Sicherheit und Ordnung sorgen. Aber welche Aufgaben nimmt der BGS hier am Bahnhof wirklich wahr?

Häufig ist zu beobachten, daß BGS-BeamtInnen im Bahnhof gegen 'fremd' bzw. 'ausländisch' aussehende Menschen vorgehen. Demnach werden MitbürgerInnen sowie Gäste unserer Stadt willkürlich belästigt und verunsichert.

Inzwischen ist es dem BGS erlaubt, sogenannte 'verdachtsunabhängige Personenkontrollen' in Bahnhöfen durchzuführen. Täglich ist hier im Hauptbahnhof zu erleben, daß der BGS gezielt Menschen nach Kriterien wie Hautfarbe, Aussehen und Sprache zur Kontrolle herausgreift. Das bedeutet, daß Menschen, die in unserer Gesellschaft leider ohnehin schon dem gesellschaftlichen Rassismus ausgesetzt sind, zusätzlich auch noch durch diese Bundespolizei ins Visier genommen werden. Flüchtlinge, die in der BRD Zuflucht vor Folter, Krieg und Hunger suchen, werden durch spezielle Gesetze zu Kriminellen erklärt. In Bahnhöfen lauern ihnen BGS-BeamtInnen auf, um sie zu kontrollieren und ihre Abschiebung zu ermöglichen. Der BGS handelt im staatlichen Auftrag. Er setzt die von PolitikerInnen erlassenen Gesetze und Verordnungen vor Ort durch. So wird Gewalt gegen 'Fremde' und 'AusländerInnen' nicht nur von Rechtsextremisten verübt, sondern auch von staatlicher Seite, staatlicher Rassismus.

Um dieses willkürliche Verhalten von BGS-BeamtInnen zu beobachten und zu dokumentieren wurde das Komitee gegen amtlichen Rassismus gegründet.

Namhafte PolitikerInnen haben uns zu dieser Arbeit gegen Rassismus bestärkt, etwa Bundespräsident Johannes Rau, der am 9. November 2000 in Berlin sagte:

"Wir wollen, daß jeder Mann und jede Frau überall in Deutschland sicher sein kann vor Einschüchterung und Gewalt."

Wir wollen verhindern, daß Menschen, die hier ihren Lebenmittelpunkt haben oder hier zu Gast sind, aufgrund ihrer Hautfarbe und Aussehens durch Kontrollen verunsichert und verfolgt werden. Wir wollen verhindern, daß Menschen deren einziges 'Vergehen' es ist, keine gültigen Aufenthalts-Papiere zu besitzen, zu Unrecht kriminalisiert, verhaftet und abgeschoben werden.

Wir möchten Sie daher bitten, mit offenen Augen durch den Bahnhof zu gehen, auf rassistische Kontrollen zu achten und sich gegebenenfalls einzumischen, zumindest aber solche Vorfälle an die untenstehende Telefon-Nummer des Komitees weiterzugeben.

Wir werden diese Vorfälle sammeln und zu einem Bericht zusammentragen. Verschiedene Abgeordnete des Europaparlaments wollen sich dafür einsetzen, daß dieser Bericht gegebenenfalls beispielhaft für 'amtlichen Rassismus' im Parlament behandelt wird. Ferner soll diese Dokumentation auch an das UN-Flüchtlingskommissariat weitergeleitet werden, um einen Einblick in die Behandlung von Flüchtlingen in der BRD zu ermöglichen.

Unterstützen Sie uns bitte in unserem Vorhaben!

Setzen Sie sich mit uns in Verbindung, wenn Sie Zeuge oder Zeugin eines Übergriffs seitens Beamtinnen und Beamten des BGS werden!

Tel: 0221/5101847

Schauen sie den BeamtInnen des BGS auf die Finger! Zeigen Sie Zivilcourage und lassen Sie ihre Mitmenschen nicht allein! Machen Sie deutlich, daß sie rassistische Ausgrenzung und Gewalt durch wen auch immer nicht hinnehmen. Denn:

"Hier ist ein Punkt erreicht, wo die sonst schweigende Mehrheit der Bevölkerung nicht länger schweigen darf!" (Joschka Fischer, Bundesaußenminister)

Beirat:
Hilmar Ankerstein, Runder Tisch für Ausländerfreundlichkeit
Dr. Wolf-Dietrich Bukow, Professor
Jürgen Crummenerl, Rechtsanwalt
Gabi Gillen, Journalistin
Gabriele Metzner, Öffentlichkeit gegen Gewalt
Hanswerner Odendahl, Rechtsanwalt
Heinrich Pachl, Kabarettist
Dr. Louis Peters, Rechtsanwalt
Kurt-Werner Pick, Pfarrer, Antoniterkirche Köln
K.H. Pütz, Manager und Ratsmitglied der Stadt Köln
Rheinisches Journalistenbüro Köln
Dr. Klaus Riekenbrauk, Professor
Wilfried Schmickler, Kabarettist
Martin Stankowski, Journalist
Eckart Schubert, Pfarrer i. R.

Komitee gegen amtlichen Rassismus
Tel: 0221/5101847
Treffpunkt: jeden 1. Dienstag im Monat, 19 Uhr, Allerweltshaus Köln


Pressemitteilung

zur Auftaktveranstaltung des 'Komitee gegen amtlichen Rassismus' am 17.3.2001, 12-13 Uhr

Internationale Töne erfüllten heute Mittag die Luft des kölner Hauptbahnhofes:

Das kölner Blasorchester 'Dicke Luft' blies dem dort tätigen Bundesgrenzschutz 'den Marsch'. Anlaß war die Auftaktveranstaltung des 'Komitees gegen amtlichen Rassismus' (KogamRa), auf der die Beiratsmitglieder des Komitees, der Kabarettist Heinrich Pachl und der Stadthistoriker Dr. Martin Stankowski, die Arbeit dieser neuen Initiative vorstellten. Der Bundesgrenzschutz wird ab heute für mindestens drei Monate bei seinen Kontrollen 'beobachtet'. Tag und Nacht kontrolliere der Bundesgrenzschutz gezielt Leute, die nicht wie Deutsche aussehen. "Menschen aufgrund ihres Aussehens einer Straftat zu verdächtigen und deshalb zu kontrollieren, erleben internationale Gäste, MigrantInnen und Flüchtlinge dieser Stadt als persönliche Diskriminierung, wir nennen diese Praxis amtlich verordneten Rassismus", begründet eine Sprecherin das Engagement des Komitees.

Die Aufgabe der nächsten drei Monate heißt beobachten, einmischen, dokumentieren und die zusammengetragenen Ergebnisse veröffentlichen.

In einem Faltblatt fordert das Komitee in acht Sprachen die Bahnhofsbesucher auf, sich unter einer Kontaktnummer zu melden, wenn sie selber Opfer von Diskriminierungen durch Bundesgrenzschutzbeamten werden oder solche beobachten.

Über 150 Mitglieder des Komitees demonstrierten mit Musik, Spruchbändern und einem Transparent hoch unter dem Dach der Bahnhofshalle für ein Köln, das sich zurecht 'weltoffen' und 'tolerant' nennen kann. Die Aktion traf auf Zustimmung der Bahnhofsbesucher - es kam kurzeitig Partystimmung auf. Nach etwa einer Stunde drängten Bundesgrenzschutz 'aus Sicherheitsgründen' auf Abbruch der Aktion.


Kontrolle nach Hautfarbe

Köln: 'Komitee gegen amtlichen Rasissmus' gratulierte dem Bundesgrenzschutz zum Geburtstag - Artikel aus 'Junge Welt' vom 20.3.2001

Mit einem Tag Verspätung gratulierte das Kölner 'Komitee gegen amtlichen Rassismus' (Kogamra) am Samstag dem Bundesgrenzschutz (BGS) zum 50jährigen Jubiläum. Die gleichzeitige Geburtsstunde des Komitees im Kölner Hauptbahnhof begleiteten zwölf Musikerinnen und Musiker der Blaskapelle 'Dicke Luft' mit einem Trauermarsch - im Gedenken an die bekannten und unbekannten Opfer des staatlichen Rassismus.

Während der BGS in Berlin von Bundesinnenminister Otto Schily und Bundespräsident Johannes Rau für 'Engagement, Sorgfalt und Sachverstand' im Weltsaal des Auswärtigen Amtes vor zirka 500 Gästen gelobt wurde, kritisierten knapp 150 Teilnehmer der Kundgebung im Kölner Bahnhofsgebäude die dunklen Seiten des BGS, die auf Jubiläumsfeiern gerne verschwiegen werden. 'BGS & Polizei - In Worten gegen rechts, in Taten gegen AusländerInnen', stand auf einem Transparent, das mit Hilfe von Gasluftballons unter das Dach der Eingangshalle gehängt wurde.

Seit 1992 hat der BGS 'bahnpolizeiliche Aufgaben' übernommen, seit 1998 darf er sogenannte 'verdachtsunabhängige Kontrollen' durchführen. Heute stellt der BGS 6000 Beamte für die Bahnpolizei. Die seit November des vergangenen Jahres bestehende 'Ordnungspartnerschaft' mit der privaten 'Bahnschutz- und Service-Gesellschaft' ergibt weitere 3800 Beschäftigte, die bundesweit Bahnhöfe kontrollieren. Ein Spießrutenlauf für fremd aussehende Kunden der Bahn, denn maßgeblich für die Kontrollen sind das Aussehen der Reisenden und ihre Reaktion auf die Anwesenheit von Uniformierten. Zu einer der Hauptaufgaben des BGS gehört die Überwachung des 'grenzüberschreitenden Personenverkehrs' und das Verhindern von 'illegalen Grenzübertritten'. Am Kölner Hauptbahnhof konzentrieren sich die Kontrollen des BGS vor allem auf Züge, die aus dem westlichen Ausland ankommen, d. h. aus Belgien, den Niederlanden und aus Frankreich. Der BGS greift Ausländer auf, die keine Aufenthaltsgenehmigung haben, aber auch 'residenzpflichtige' Asylbewerber, die ihren von den Ausländerbehörden zugewiesenen Aufenthaltsort verlassen haben.

Eine Sprecherin des Kogamra-Beirats kritisierte auf der Kundgebung die Residenzpflicht als 'eine in Europa einmalige Schikane'. Von der Möglichkeit der Festnahme wegen 'Verstoßes gegen die Residenzpflicht', die Bestandteil des 'Ausländerrechts' ist, macht der BGS häufig Gebrauch.

Allein 2000 Straftaten gegen das Ausländer- bzw. Asylverfahrensgesetz hatte die BGS-Inspektion Köln 1999 registriert. Anders als unmittelbar an den Grenzen nimmt der BGS im Kölner Hauptbahnhof allerdings keine Abschiebungen vor - er übergibt die Aufgegriffenen den Ausländerbehörden oder dem Kölner Polizeipräsidium. 'Menschen aufgrund ihres Aussehens eines Rechtsbruchs zu verdächtigen und deshalb zu kontrollieren, erleben internationale Gäste, MigrantInnen und Flüchtlinge in dieser Stadt als persönliche Diskriminierung, wir nennen diese Praxis amtlich verordneten Rassismus', erklärte die Kogamra-Sprecherin.

Angesichts der zahlreichen Politiker-Appelle gegen Rassismus machten sich der Kölner Kabarettist Heinrich Pachl und der Stadthistoriker Martin Stankowski über die Selektionspraktiken des BGS her. 'Wir wollen doch das Gleiche', sagte Pachl auch in Anspielung auf das Motto der Kölner Polizei 'Kölner lassen keinen allein. Hinsehen, Handeln, Hilfe holen'. Der Kabarettist monierte nicht zum ersten Mal das Verhalten der Beamten - vor wenigen Monaten saß er mit dem Polizeipräsidenten auf dem Podium einer öffentlichen Veranstaltung zum selben Thema.

Nicht nur in Köln zeigt die Kritik bisher allerdings keine Wirkung auf Polizei, BGS und politische Entscheidungsträger. Allein am ersten Februarwochenende hatten BGS-Beamte aus der Grenzstadt Aachen 79 Ausländer im Bahnverkehr 'aufgespürt', die ohne Papiere nach Deutschland einreisen wollten. Dort haben ebenfalls am Samstag antirassistische Gruppen die Aktivitäten des BGS öffentlichkeitswirksam ins Visier genommen.

Mit Flugschriften forderte in Köln Kogamra die Kunden der Bahn auf, 'auf rassistische Kontrollen zu achten und sich gegebenenfalls einzumischen', zumindest aber solche Vorfälle an ein Infotelefon des Komitees weiterzugeben. Außerdem plant Kogamra für den Zeitraum von drei Monaten eigene Streifengänge durch den Bahnhof. Die Ergebnisse der Beobachtungen will Kogamra zu einem Bericht zusammentragen. Sollte der die Vorwürfe gegen den BGS erhärten, wollen ihn mehrere Abgeordnete des Europaparlaments als Beispiel für 'amtlichen Rassismus' in einer Parlamentssitzung verhandeln. Kogamra beabsichtigt auch, die Dokumentation an das UN-Flüchtlingskommissariat weiterzuleiten.

Gerhard Klas


Dicke Luft im Hauptbahnhof

Keiner wird im Zug nach Brüssel kontrolliert. Nur Antoine Talempuli. Weil er schwarz ist? Das Kölner 'Komitee gegen amtlichen Rassismus' will Grenzschutz und Polizei kontrollieren - Artikel aus 'taz Köln' vom 22.3.2001

Sobald Antoine Talempuli ohne seine deutsche Frau mit dem Zug auf Reisen geht, muss er sich in Acht nehmen. "Eine normale Kontrolle ist, wenn alle kontrolliert werden", erzählt Antoine Talempuli. Aber wenn er mit der Bahn von Brüssel nach Köln fährt, wird der Kölner oft als einziger gezielt kontrolliert. Warum? Er ist schwarz - und allein das macht ihn für die Herren und Damen vom Bundesgrenzschutz (BGS) verdächtig. "Das tut schon ein bisschen weh", sagt Talempuli.

Er ist kein Einzelfall, davon ist Jurist Jürgen Crummenerl überzeugt. Der Rechtsanwalt für Ausländer- und Asylrecht hat die Grenzschützer beobachtet. Ihm fiel auf, dass die Beamten "dunkelhäutige, dunkelhaarige Menschen aus der Menge" aussortierten. "Eine Selektion, die allein eine rassistische Grundlage hat."

Um dieser Praxis ein Ende zu bereiten, hat sich unlängst das Kölner 'Komitee gegen amtlichen Rassismus' (KoGamRa) gegründet. Am vergangenen Samstag stattete das Komitee den Grenzschützern im Hauptbahnhof erstmalig einen Besuch ab, gemeinsam mit rund hundert BürgerInnen.

Beim Einzug in die Bahnhofsvorhalle spielte die Blaskapelle 'Dicke Luft' einen Trauermarsch - in Erinnerung an alle bekannten und unbekannten Opfer des staatlichen Rassismus. In einer kurzen Ansprache nahm sich der Kabarettist und taz köln-Kolumnist Heinrich Pachl die Kölner Polizei-Kampagne 'Kölner lassen keinen allein. Hinsehen, Handeln, Hilfe holen' zum Vorbild. "Genau das machen wir doch heute", sagte Pachl in Richtung einiger verdutzt dreinschauender Polizei- und BGS-Beamter.

Währenddessen hatten die Demonstranten in Windeseile einen Info-Tisch aufgebaut und verteilten Sekt, Kaffee und Flugblätter an die Reisenden. Und sie ließen ein Transparent mit Luftballons an die Decke des Hauptbahnhofs steigen: 'BGS + Polizei: in Worten gegen Rechts, in Taten gegen AusländerInnen'.

Taten gegen AusländerInnen? Das kann Klaus-Peter Kilian "nur abweisen". Der Pressesprecher des Kölner BGS bestreitet gar, dass Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe kontrolliert würden. Grundlage des BGS-Handelns sei das Gesetz. Und die Erkenntnis: "Wir wissen, dass in bestimmten Zügen gewisse Personen fahren, die unerlaubt einreisen wollen."

Am Kölner Hauptbahnhof konzentrieren sich die Kontrollen des BGS vor allem auf Züge, die aus Frankreich, Belgien und Holland kommen. Zudem haben die Uniformierten jene Asylbewerber im Visier, die gegen die 'Residenzpflicht' verstoßen, also nach Köln fahren, obwohl sie in anderen Städten gemeldet sind. Allein 2.000 Verstöße gegen das Ausländer- oder Asylverfahrensgesetz registrierte die BGS-Inspektion Köln für das Jahr 1999.

Wie weit die Kontrollen des BGS gehen können, zeigt das Beispiel Doteh Madje Mensah-Assiakolay. Der Togolese wurde an einem Tag im letzten Oktober gleich zweimal angehalten. "Die Polizei hat mich sehr aggressiv kontrolliert", berichtet er aufgebracht. Die Situation eskalierte, nachdem Mensah-Assiakolay nicht zum zweiten Mal seinen Pass zeigen wollte. Er soll die Beamten als Nazis beschimpft haben - was er bis heute bestreitet. Die BGS-ler packten ihn am Hals und hielten ihn im Würgegriff. Das Ergebnis: Mensah-Assiakolay wurde wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt und Beleidigung verklagt und zu einer Geldstrafe von 1.800 Mark verurteilt.

"Gegen die Aussage von mehreren Beamten hat man keine Chance", sagt Mensah-Assiakolays Rechtsanwalt Louis Peters. Der Jurist weiß, wovon er redet. In seiner Kanzlei werden täglich Afrikaner vorstellig, die sich über behördliche Ausländerfeindlichkeit beklagen. Louis Peters will sich nun bei KoGamRa engagieren. Die Initiative plant für das nächste Vierteljahr eigene 'Streifengänge' durch den Bahnhof. Die Ergebnisse der Beobachtungen will KoGamRa zu einem Bericht zusammentragen, der an das Europaparlament und das UN-Flüchtlingskommissariat weitergeleitet werden soll.

David Kester / Gerhard Klas


Einmischen statt wegschauen

Wenn Grenzschützer ausländisch aussehende Reisende kontrollieren, geschieht das streng legal, auch wenn sie oft über die Stränge schlagen. Doch BürgerInnen können sich wehren - Kommentar von Albrecht Kieser in der taz Köln vom 22.3.2001

Die Rechtslage ist eindeutig. Der unerlaubte, weder durch ein gültiges Visum noch durch einen legalen Aufenthaltstitel legitimierte Aufenthalt von Ausländern auf dem Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland ist eine Straftat. Das ist gute deutsche Strenge: in anderen europäischen Ländern ist so etwas bestenfalls eine Ordnungswidrigkeit.

Ebenso eindeutig wie § 92 Ausländergesetz ist § 56 Asylverfahrensgesetz. Wenn ein Flüchtling den ihm durch eine zentrale staatliche Stelle zugewiesenen Aufenthaltsort verlässt, begeht er eine Ordnungswidrigkeit, die mit Geldstrafe oder im Wiederholungsfalle mit Haft belegt wird. Auch das ist eine deutsche Spezialität, sogar einzig in der gesamten Festung Europa. Residenzpflicht heißt das Ding und es ist bereits vom Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen als unangemessene Einschränkung der Menschenrechte kritisiert worden.

Oder nehmen wir die Doppelbestrafung, eine an demokratischen Maßstäben gemessen rechtliche Unmöglichkeit - hierzulande wird sie gepflegt, wenn sich ein Ausländer eine Straftat erlaubt hat (etwa mehrfache Verletzung der Residenzpflicht): nach Verbüßung einer Haft kann er zusätzlich ausgewiesen werden. Ein besonderer Schrecken für hier geborene ausländische Jugendliche, die mit dem Strafrecht in Konflikt geraten sind.

Oder nehmen wir das Recht des Staates (§ 3 Asylbewerberleistungsgesetz), einer bestimmten, natürlich 'ausländischen' Sorte von Bürgern, die staatlichen Überlebenszahlungen (Sozialhilfe) auf 80 Prozent des für Deutsche üblichen und schon für diese knappen Niveaus abzusenken. Oder nehmen wir den Ausschluss von der üblichen Gesundheitsversorgung, mit dem Flüchtlinge bedacht werden, den Ausschluss vom Wahlrecht für alle Nicht-EU-Ausländer, die Einschränkung der Demonstrations- und Versammlungsfreiheit für Nicht-Deutsche, die Aufhebung des Rechts auf Freiheit der Person, die Ausländer zu gewärtigen haben, wenn sie sich unerlaubt auf deutschem Staatsgebiet aufhalten. Oder nehmen wir das Recht der Polizei, ohne konkreten Verdacht Menschen zu kontrollieren, zum Beispiel, wenn die Ordnungshüter vermuten, diese könnten sich ohne Berechtigung hier aufhalten.

Die Rechtslage ist eindeutig: Das alles sind Sondergesetze, sind Formen staatlichen Rassismus, strukturelle Gewalt gegen Menschen ohne deutschen Pass oder mit vermeintlich undeutschem Aussehen ('verdachtsunabhängige Kontrollen').

Die Exekuteure dieser Gesetze handeln also auftragsgemäß, streng legal - auch wenn manche von ihnen gern mal zusätzlich über die Stränge schlagen und persönliche Gemeinheit mit ins üble Spiel bringen - und in aller Regel hinter verschlossenen Türen: im Sozialamt, im Ausländeramt, in der staatlichen Flüchtlingsunterkunft, auf der Polizeiwache.

Einige Anwendungen rassistischer Sondergesetze allerdings geschehen in aller Öffentlichkeit und machen uns alle zu Zeugen. Zum Beispiel auf Bahnhöfen, dem Kölner Hauptbahnhof besonders. Dort ist der Bundesgrenzschutz als Bundespolizei damit beauftragt, durch gezielte Kontrollen Leute aus dem Strom der Fahrgäste herauszufischen, die sich dort unerlaubt aufhalten: Flüchtlinge, die ihre 'Residenzpflicht' verletzen, Migranten und ausländische Besucher, die ohne Rechtstitel in Deutschland sind. Die Beamten handeln weisungsgemäß, natürlich, halten einen im Aussehen und Habitus Verdächtigen an, kontrollieren seine Papiere, nehmen ihn gegebenenfalls mit.

Man kann wegschauen, wenn man das sieht, man kann einverstanden sein ('ein Dealer wahrscheinlich'), man kann klammheimliche Freude empfinden, man kann die Faust in der Tasche ballen.

Oder man kann sich einmischen: durch Fragen nerven, durch gezielte Aufmerksamkeit irritieren, durch ostentative Beobachtung verunsichern, zum Telefonhörer greifen und das 'Komitee gegen amtlichen Rassismus' anrufen.

Höchste Zeit, dass es so was gibt.


Europa aktuell

Beitrag in WDR5 Funkhaus Europa am 20.3.2001, 8:45 Uhr

Anmoderation: Am Kölner Hauptbahnhof werden oft Personen vom Bundesgrenzschutz kontrolliert, nur weil sie anders aussehen. Die meisten jedoch sind unbescholtene Bürger und haben einen legalen Status. Für Kölner Bürgerrechtler, Rechtsanwälte, prominente Künstler und Kirchenvertreter ist dieses Verhalten rassistisch. Sie haben deswegen ein Komitee gegen amtlichen Rassismus gebildet. Sie werfen dem Bundesgrenzschutz vor, daß dunkle Hautfarbe, schwarze Haare und ein ungepflegtes Aussehen für viele Beamte verdächtige Merkmale sind. Am vergangenen Samstag ist das Komitee zum ersten Mal am Kölner Hauptbahnhof in Aktion getreten. Laie Konuk war dabei.

Autorin: Während die Blaskapelle für gute Stimmung sorgt, verteilen die rund siebzig Demonstranten Faltblatter, prominente Kölner Bürger wie der Kabarettist Heinrich Pachl informieren Reisende über Lautsprecher:

Heinrich Pachl: ... aber alleine wegen des Aussehens angehalten und kontrolliert zu werden, das macht keinen guten Eindruck. (Applaus)

Autorin: .’Stopp dem amtlichen Rassismus an Bahnhöfen’ - so steht es auf den Plakaten. Kritisch beäugt von den Beamten des Bundesgrenzschutzes und den privaten Hilfssheriffs der Bahn halten die Demonstranten ihre Transparente hoch. Nach einer Stunde löst sich die Versammlung am Kölner Hauptbahnhof friedlich auf. Doch die Aktion ist damit noch nicht beendet. In den nächsten drei Monaten wollen die Mitglieder des Komitees den grünen Beamten über die Schulter schauen. Mit dabei ist die zierliche Pfarrerin Eva Schaaf.

Eva Schaaf: Wir haben Kontakt mit Menschen, die am Bahnhof verhaftet worden sind, oder die darunter leiden oder beklagen, dass sie permanent vom Bundesgrenzschutz kontrolliert werden am Bahnhof, ihre Papiere vorzeigen müssen. Sie haben den Eindruck, dass sie das nur tun müssen, weil sie anders aussehen als andere.

Autorin: Häufig kontrolliert wird zum Beispiel Antoine Talempuli aus dem Kongo. Mit seiner dunklen Hautfarbe hebt er sich deutlich von der Menge ab. Seit acht Jahren lebt er in Köln und ist mit einer Deutschen verheiratet. Aber sobald er ohne seine Frau unterwegs ist, lassen die uniformierten Beamten ihn kaum in Ruhe, beschwert er sich. Antoine Talempuli findet dieses Verhalten nicht korrekt.

Antoine Taleinpuli: Ich bin mal von Basel nach Köln gefahren mit dem Zug, und gab viele Leute da, aber gezielte Leute kontrolliert, wenn eine farbige Mensch ... wird kontrolliert. ... Und wenn man alleine kontrolliert wurde, tut ein bisschen weh, weil normale Kontrolle geht, wenn alle Leute ihre Pässe zeigen müssen.

Autorin: Der Vorwurf: Dunkelhäutige werden häufiger kontrolliert. Davon wollte sich der engagierte Rechtsanwalt für Ausländer- und Asylrecht Jürgen Crummenerl selbst überzeugen. Er hat die Grenzschützer eine Zeit lang ins Visier genommen:

Jürgen Crummenerl: Ich hab beobachtet, wie der Talys aus Paris kam und 5 Minuten vorher stellten sich mehrere BGS-Beamte unten an die Treppe, und kamen die Leute aus dem Zug und dann wurden halt dunkelhäutige, dunkelhaarige Menschen rausgefischt. Das ist eine Selektion, die allein eine rassistische Grundlage hat, denn an dem Aussehen kam ich ja nicht erkennen, ob jemand kriminell ist.

Autorin: Rassismus von Amts wegen? Der Bundesgrenzschutz bestreitet diesen Vorwurf. Und tatsächlich gibt es keinerlei Gerichtsverfahren gegen den Bundesgrenzschutz in Köln wegen Diskriminierung oder rassistischer übergriffe.

Pressesprecher Klaus-Peter Kilian: Ich kann das nur abweisen, es sind mir auch keine Fälle bekannt und in den Unterlagen, die wir haben, ist es nicht auffällig, dass wir mehr Schwarzafrikaner wie Frauen oder Männer oder Weiße da haben wir keine Anlässe zu. Und ich kann noch mal betonen, ganz klare Grundlage ist das Gesetz.

Autorin: Laut Gesetz haben die BGS-Beamten den Auftrag, unerlaubte Einwanderung zu unterbinden. Zu diesem Zweck können sie an Bahnhöfen jede Person kontrollieren, von der sie annehmen, sie sei unerlaubt eingereist. Doch das Komitee gegen amtlichen Rassismus meint: dieses Recht wird von den Beamten überstrapaziert. Zum Beispiel als Mensah Assiakoley aus Togo am selben Tag gleich zweimal in eine Kontrolle geriet. An jenem Oktober-Tag war er in Eile und wollte seinen Zug erreichen.

Mensah Assiakoley: Am Kölner Hauptbahnhof ich war kontrolliert und die Polizei hat mich sehr aggressiv kontrolliert. Ich war nervös... Aber hier sind wir nicht frei, jede Minute man muß kontrolliert werden. ... Ich war kontrolliert die gleiche Tag zweimal.

Autorin: Er reagierte nervös, war aufgebracht. Laut Aussagen der Beamten soll er sie als Nazis beschimpft haben. Daraufhin wollten die Beamten erneut seinen Paß, um Anzeige zu erstatten. Als er sich weigerte, eskalierte die Situation. Die Beamten packten ihn am Hals und hielten ihn im Würgegriff. Mensah Assiakoley wurde vor Gericht wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt und Beleidigung verklagt. Doch er bestreitet, die Beamten beleidigt zu haben.

Sein Rechtsanwalt Louis Peters: Wenn drei, vier Polizisten sind, dann haben sie drei, vier Zeugen, können sie ja nichts machen. Sie selbst sind ja der Angeklagte. Zeugen gibt es so gut wie nie. Dann werden sie verurteilt und wenn sie in Berufung gehen wollen, weil Sie wollen ja Ihr Recht haben, dann werden Sie in der berufenden Instanz noch einmal verurteilt.

Sein Mandant muß nicht nur 60 Tagessätze a 30 Mark zahlen - rund 1,800 Mark. Das Strafverfahren hat für ihn auch schwere Folgen. Wegen seiner Vorstrafe wird seine Aufenthaltserlaubnis nur noch alle sechs Monate verlängert, bis das Ausländeramt über seinen Antrag auf unbefristete Aufenthaltserlaubnis entschieden hat. Für Louis Peters ist er kein Einzelfall. In seiner Praxis suchen viele Afrikaner juristischen Rat.

Louis Peters: Ich habe jeden Nachmittag 3,4,5 Fälle von behördlicher Ausländerfeindlichkeit.

Autorin: Die Mitglieder des Komitees gegen amtlichen Rassismus sind über solche Strukturen empört. Sie wollen Gesicht zeigen, Farbe bekennen, wie auch der prominente Kölner Martin Stankowski.

Martin Stankowski: ... weil diese Stadt wäre nicht die Stadt, wenn nicht immer wieder gerade in diesem Knotenpunkt Bahnhof neue Menschen angekommen wären. Die Kölner für sich alleine wären also längst versumpft und versandet, wenn es nicht den Zuzug gegeben hätte, und deswegen plädiere ich dafür ... seien wir froh, dass die Menschen kommen, sonst wäre es schrecklich.

Abmoderation: Falls Sie auch so etwas erlebt haben, oder Zeuge eines Übergriffs geworden sind, können Sie sich beim Komitee gegen amtlichen Rassismus melden. Das Komitee sammelt Fälle von rassistischen Kontrollen an Kölner Bahnhöfen oder am Flughafen.


Prozess Walter Herrmann

um die rassistischen Kontrollen auf dem Kölner Hauptbahnhof

Montag, 11. Juni / 9:00 Uhr
Amtsgericht Luxemburger Str. / Saal 250

Weil sich Bundesgrenzschützer im Hauptbahnhof aus dem Strom der Leute, die von den Zügen kamen, einen vereinzelten Farbigen herausgriffen und ihn grob behandelten, mischte ich mich in deren "Amtshandlung" ein. Ich fragte, ob es einen anderen Grund als seine Hautfarbe gegeben hätte, ihn zu greifen, und bezeichnete schließlich ihr Vorgehen als "rassistisch".

Die Papiere des Farbigen waren in Ordnung; er konnte gehen. Mich selbst zog der BGS-ler POM GRIETL, ein junger draufgängerischer Typ, in den Verschlag des BGS, um mir eine Anzeige wegen "Beleidigung" aufzudrücken.

Es folgte ein Strafbefehl wegen Beleidigung: 30 Tagessätze zu je 25,- DM. Darin wird mir unterstellt, bezogen auf den Zeugen GRIETL lautstark geschimpft zu haben: "Ihr seid doch Rassisten, ihr kontrolliert den Mann nur, weil er schwarz ist, ihr habt eine rassistische Verhaltensweise."

Ich legte fristgerecht Einspruch ein. So folgt jetzt die Verhandlung am Amtsgericht. Als Zeugen treten POM GRIETL und drei Kollegen von ihm auf. Mein Verteidiger ist Detlef Hartmann (Tel.: 0221 - 544077 oder 544079). Wir wollen in Verbindung mit dem Prozeß politisch-offensiv gegen verdachtsunabhängige gezielte Kontrollen von Menschen anderer Hautfarbe angehen.


Links

Kein Mensch ist illegal - Kölner Netzwerk
Kein Mensch ist illegal - Forschungsstelle Flucht und Migration e.V., Berlin
Kein Mensch ist illegal - Wien
D.I.R. - Dokumentations- und Informationszentrum für Rassismusforschung, Marburg
Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V.
Antirassistische Initiative Berlin e.V.
Antirassismusbüro Bremen
Büro antirassistischer Initiativen Kassel
Bürgerinitiative Asyl Regensburg
Verein für politische Flüchtlinge Münster
Zürcher Komitee zur Unterstützung der sans-papiers