Köln, 15.4.2005 - 'Workfare is not fair - Ein-Euro-Jobs stoppen' - Protest gegen Lohndumping und ZwangsdiensteBilder

'1-Euro-Jobs' kommen ins Gerede - Ist 'Hartz IV' gescheitert?

Betrachtung von Hans-Dieter Hey anläßlich des Untersuchungsspaziergangs vom 15.4.2005

Mit zweifelhaften Methoden werden Menschen im Alter bis zu 25 Jahren, die arbeitslos sind, mit so genannten 1-Euro-Jobs in Not gedrängt. Das behauptet die Organisation "Agenturschluss". Sie will mit Untersuchungsspaziergängen bundesweit in ihrer Dokumentationsstelle zu Hartz IV belegen, was einem in Deutschland passieren kann, wenn man für einen Euro Aufwandsentschädigung zur Arbeit gezwungen wird. Diesmal sind sie in Köln unterwegs. Man will herausfinden, wie es um das "Kölner Erfolgsmodell" am Arbeitsmarkt wirklich bestellt ist.

Eine Gruppe von rund 25 aktiven Mitgliedern der Organisation "Agenturschluss" stattete letzten Freitag den völlig überraschten Mitabeitern von "EVA - Ehrenfelder Verein für Arbeit und Qualifizierung" der Jugendhilfe Köln e.V. unangenehmen Besuch ab. Im Schlepptau die Presse. Auch die Polizei war sofort da und wollte wissen, worum es geht. EVA soll im Auftrag der ARGE Köln Maßnahmen für junge Erwachsene zur Wiedereingliederung durchführen. Die ARGE ist ein Ableger der Arbeitsagentur Köln. Die Qualifizierungsmaßnahmen bestehen nach Auskunft einer leitenden Mitarbeiterin, die unerkannt bleiben will, z.B. in der Reparatur der eigenen Fahrräder. Nach Auskunft Betroffener werden jedoch laufend Lieferungen fremder Fahrräder herbeigeschleppt. Die leitende Mitarbeiterin musste schließlich zugeben: "Wir nehmen den Auftrag an. Die Bedingungen des Auftrags macht die ARGE, aber da haben wir nichts mit zu tun. Wir machen das Instrument nicht. Gehen sie nach Berlin, gehen sie zu Minister Clement, beschweren sie sich dort."

"Agenturschluss" will genau wissen, wie den Betroffenen das Geld ausbezahlt wird. Diese erhalten alle das neue Arbeitslosengeld II. Doch die sind frustriert: "Wie sollen wir denn mit 50 Euro in sieben Tagen auskommen für alles?", beklagt sich ein 21 jähriger Teilnehmer. Ein anderer erhielt seinen Angaben zu Folge nur 35 Euro die Woche zum Leben. Die Auszahlung erfolgt wöchentlich. Und wer zu spät kommt, hat Pech gehabt.: "Ich kann damit überhaupt nicht klar kommen, wenn ich mal eine Rechnung bekomme. Jetzt habe ich für 85 Euro ein Inkasso."

Mit ihrer Praxis setzt sich die Arbeitsagentur Köln bewusst über das Gesetz hinweg, welches monatliche Zahlungen vorsieht, und treibt damit Betroffene in die Verschuldung. Als "Agenturschluss" vor dem Personalbüro von EVA auftaucht um nachzufragen, wird das Schild "Freitags keine Auszahlung" schnell abgehängt. Einer der Teilnehmer erhält noch seine 50 Euro: "Wenn ihr nicht hier wärt, hätte ich gar nichts bekommen. Dann hätte ich hungern müssen. Gut dass ihr da seid", bedankte er sich bei "Agenturschluss".

Die Betroffenen erhalten von einem Euro ohnehin nur noch 70 Cent Aufwandsentschädigung. Bei unentschuldigten Fehlzeiten erfolgt eine Kürzung nicht nur bei der Mehraufwandsentschädigung entsprechend der ausgefallenen Zeit. Sogar das Arbeitslosengeld II kann gekürzt oder ganz gestrichen werden. Auch diese Praxis der Arbeitagentur erscheint angesichts der Rechtslage gesetzeswidrig, berichtet "Agenturschluss".

Im Hinauskegeln von Menschen aus dem Bezug der Arbeitslosenunterstützung hat Köln schon früh negativen Ruf erlangt: "Hier sind die Kölner direkt Vorbild für Hartz IV gewesen und feiern als Erfolg, dass in den ersten Jahren ca. 1500 von 4800 Personen aus der Statistik verschwunden sind, ohne dass man weiß wie oder wovon sie noch leben", informierte Frau Prof. Dr. Spindler von der Universität Duisburg-Essen am 13.09.2004 die Teilnehmer einer Montagsdemonstration. Bundesweit sind nach Angaben von "Agenturschluss" in den ersten drei Monaten dieses Jahres durch "Hartz IV" ca. 30.000 junge Erwachsene ohne Zukunftsperspektive aus dem Bezug der Arbeitslosenunterstützung geworfen worden.

Es ist richtig, dass dieses Prinzip als "Kölner Erfolgsmodell" bundesweit gepriesen wird. Falsch ist allerdings, das dadurch Arbeitsplätze geschaffen wurden. Ganz im Gegenteil. Der ehemalige Leiter der Kölner Jugendhilfe e.V., der seinen Namen ebenfalls nicht nennen möchte, wurde ebenfalls von "Agenturschluss" besucht und weiß, warum das so ist:

"Das Amt für Wirtschaftsförderung z.B gibt uns Aufträge einer Schule. Die müssen wir abarbeiten. Wir stellen dann eine Truppe von Ein-Euro-Jobbern zusammen. Damit gehen wir an die Schule. Die Schule bezahlt die Farbe, wir zahlen den Anleiter, der Ein-Euro Mann kriegt sein Geld von der ARGE." Mit anderen Worten: die 1-Euro-Jobber werden zur Sanierung öffentlicher Haushalte missbraucht.

Offensichtlich soll der Verdrängungswettbewerb noch brutaler werden. Prof. Dr. Spindler vermutet, dass es in der Bundesrepublik "...jetzt mit Hartz IV plötzlich 600.000 und mehr Stellen werden sollen. Neu ist auch, dass jetzt mit den Arbeitslosenhilfebeziehern, die die Sozialämter früher nicht verwaltet haben, qualifizierte Kräfte wie Kindergärtnerinnen, Lehrer, Ingenieure, Sozialarbeiter, Kaufleute qualifikationsangemessen als 1 Euro - Arbeiter eingesetzt werden sollen."

"Neues Deutschland" berichtet am 19.04.05, dass die rot-grüne Regierung Maßnahmen mit 1-Euro-Jobs nun auch für ältere Arbeitnehmer durchführen will und bezieht sich dabei auf Aussagen von Franz Müntefering. Die Maßnahmen sollen nicht nur ein halbes Jahr, sondern bis zu drei Jahren dauern. Das bedeutet für die Betroffenen: Hungerlohn für einen Euro Aufwandsentschädigung bis zur Rente.

Der VNR - Verlag für die deutsche Wirtschaft jedenfalls machte am 18.04.05 unverholen Werbung für die 1-Euro-Jobs beim Handwerk und stellt die Vorteile für Unternehmen heraus: "Geringe Personalkosten: Ein Zusatzjobber soll 15 bis 20 Stunden wöchentlich für Sie tätig werden. Sie zahlen ihm 1 Euro bis 1,50 Euro Stundenlohn, aber weder Lohnsteuer, noch Sozialabgaben. Bei 80 Arbeitsstunden im Monat ergibt das höchsten 120 Euro Lohn für den Arbeitslosen."

Offensichtlich ist auf diesen Ebenen das Gemeinwohl völlig gleich oder ob Menschen von solchen Hunger- und Mini-Jobs existieren können. "Wenn es das Prinzip von "Hartz IV" sein soll, Arbeitsplätze zu schaffen, damit Menschen sich selbst ernähren können, ist es jedenfalls gescheitert", meint "Agenturschluss" und will auf jeden Fall weiter nachforschen.


Workfare is not fair

Agenturschluss die Fortsetzung - Gegen Lohndumping und Zwangsdienste - Ein-Euro-Jobs stoppen! - Flugblatt der Initiative Agenturschluss

Seit Oktober letzten Jahres gibt es sie: Ein-Euro Jobs – „freiwillig“ wie die vermittlungswilligen Wohlfahrtsverbände unermüdlich betonten. Seit Januar ist es vorbei mit der vermeintlichen Freiwilligkeit. Wer nun einen Ein-Euro Job ablehnt, bekommt je Verweigerung eine heftige Kürzung seines knappen Arbeitslosengeldes II. Viel entscheidender ist jedoch: mangels alternativer Zuverdienstmöglichkeiten (neben Schwarzarbeit) sind viele Arbeitslosengeld-II-EmpfängerInnen gezwungen, eine solche Arbeitsgelegenheit für zusätz-liche 1 bis 1,5 Euro anzunehmen. Wer dies angesichts eines Arbeitslosengeldes II, von dem allein die meisten definitiv nicht leben können, „freiwillig“ nennt, argumentiert zynisch und unsozial.

Genau das tun Sozialverbände wie Caritas, Diakonie, Deutsches Rotes Kreuz, Arbeiterwohlfahrt und Paritä-tischer Wohlfahrtsverband sowie viele kommunale Beschäftigungsträger und diverse Verbände und Vereine. Viele Arbeitslosenzentren wollen bei Ein-Euro Stellen nicht nein sagen und die von den Arbeitsagenturen gezahlten Kopfprämien pro angebotener „Arbeitsgelegenheit“ zusätzlich zur kostenlosen Arbeitskraft einstreichen. Selbst linke Kulturzentren bemühen sich trotz Bauchschmerzen mit dem so unterstützten Lohndumping und dem unausweichlichen Zwangscharakter um die Einrichtung von Ein-Euro Jobs.

Bei so breiter Akzeptanz fiel es den deutschen Medien bislang nicht schwer, das Bild der „glücklichen“ Ein-Euro JobberInnen zu zeichnen. Doch es macht sich Unmut breit – sowohl unter den Arbeitslosen als auch unter den (noch) Beschäftigten:
  • Denn mit der vermeintlichen „Zusätzlichkeit“ vieler bereits geschaffener 1 Euro Jobs wird es nicht so genau genommen. Neben Lohndumping gibt es also auch den Effekt der unmittelbaren Verdrängung von sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen. In mehreren uns bekannten Fällen wurde Mitarbei-terInnen im Bereich der Altenpflege gekündigt und deren Stelle nachweislich als Ein-Euro Job neubesetzt.

  • Ganz im Sinne derer, die eine Ausweitung der Ein-Euro Jobs auf privatwirtschaftliche Betriebe fordern, werden mehr und mehr Fälle bekannt, in denen bereits jetzt private Unternehmen Ein-Euro-JobberInnen nutzen. Die Bedingung an einen Ein-Euro-Job, er müsse „im öffentlichen Interesse“ sein, wird so großzügig ausgelegt, dass zum Beispiel ein kommerzielles Unternehmen für Krankentransporte in Köln einen fest angestellten Mitarbeiter durch einen Mann ersetzt hat, der bei einem Krankenhaus auf 1-Euro-Basis arbeitet und von diesem „weiterverliehen“ wird.

  • Das vorgebliche Ziel, die Integration in den ersten Arbeitsmarkt, ist angesichts der hohen Massen-arbeitslosigkeit und der faktisch nicht gegebenen Qualifizierungsmöglichkeiten nichts als haltlose Propaganda, mit der die Zwangsdienste schöngeredet und die Erwerbslosen „motiviert“ werden sollen. In der Praxis könnte es sein, dass Ein-Euro JobberInnen eine Arbeitsgelegenheit nach der anderen durchlaufen.

  • Bei den Ein-Euro Jobs handelt es sich keineswegs um reguläre Arbeitsplätze, sondern um entrechtete und entgarantierte Zwangsdienste. Denn es gibt keinen Arbeitsvertrag, keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung bei Krankheit oder Urlaub, keine tarif-liche Entlohnung, kein Streikrecht, keinen Kündigungsschutz und keine Möglichkeit, Renten- oder Arbeitslosenversicherungsanspruch aufzubauen.

Die verschärfte Repression „Keine soziale Hilfeleistung ohne Gegenleistung“ (workfare), die durch die Ein-Euro Jobs auf die Spitze getrieben wird, wirkt disziplinierend und aussondernd zugleich. Wer den Forderungen nicht nachkommt, wird gänzlich ausgemustert, verliert alle Ansprüche. Durch immer mehr unzumutbare und erzwungene Regeln werden immer mehr Verstöße gegen diese Regeln provoziert. Immer mehr Menschen werden daher aus den sozialen Sicherungssystemen herausgedrängt.

Wir halten es für notwendig und aussichtsreich, in der Einführungsphase gegen diese entrechteten Pflichtdienste und damit gegen ein wesentliches Instrument dieses verschärften workfare mobil zu machen. Wir rufen auf, uns im Sinne einer kollektiven Selbstverteidigung gegen diese Zumutung zu wehren. Unsere Erfahrungen aus dem Auftakt der Agenturschluss-Initiative am 3. Januar 05 haben gezeigt, dass sozialer Widerstand in diesem Bereich noch stärker an Alltagspraxis gewinnen und sich mehr an den konkreten Bedingungen auf dem Arbeitsamt bzw in den Ein-Euro Beschäftigungsstellen orientieren muss.
  • Wir rufen Euch auf, die Ein-Euro-Job Profiteure öffentlich zu machen! Agenturschluss sucht schwarze Schafe (= Kopfgeldjäger) und listet die Beschäftigungs- und Koordinierungsstellen unter www.labournet.de/agenturschluss

  • Untersuchungs-„Spaziergänge“ zu diesen Ein-Euro-Arbeitsstellen sind nützlich, um mit den dort Beschäftigten zu diskutieren und die Geschäftsführung mit unserem politischen Widerstand zu konfrontieren. Solche Besuche sind gleichermaßen Teil der Recherche wie auch direkte Intervention. Mit einer Umfrage ( www.labournet.de/agenturschluss/fragebogen.html) wollen wir die Bedingungen in der ARGE (der für die Arbeitslosengeld-II-EmpfängerInnen zuständigen Arbeitsgemeinschaft aus Kommune und Arbeitsagentur) und in den Ein-Euro Beschäftigungsstellen untersuchen und dokumentieren.

  • Wir fordern alle MitarbeiterInnenvertretungen, Betriebs- und Personalräte auf, die Einführung von Ein-Euro-Jobs in ihren Betrieben zu verhindern. Ein-Euro Jobs sind mitbestimmungspflichtig!

  • Dort, wo die Ein-Euro Jobs nicht verhindert werden konnten, fordern wir ausreichende Beratungs- und Organisierungsmöglichkeiten für Ein-Euro JobberInnen. Diese Minimalrechte sind eine Voraussetzung für selbstorganisierten Widerstand in den Beschäftigungsstellen. Richtet zusätzlich regelmäßige regio-nale/lokale Ein-Euro-JobberInnen-Versammlungen ein!

  • Wir rufen darüber hinaus alle Beschäftigten auf, jegliche Form von Widerstand ihrer Ein-Euro KollegInnen in den Betrieben zu unterstützen – aus Solidarität und zur Absicherung der verbleibenden sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse.

  • Wir rufen dazu auf, hochrangige Kirchenvertreter, deren Beschäftigungsträger im Ein-Euro Job Geschäft mitmischen, während der Gottesdienste zu „besuchen“. Gemeindebriefe und begründete Kirchenaustritte verschärfen die ohnehin schon vorhandene interne Kontroverse.

  • Wir rufen auf zur Teilnahme am bundesweiten Aktionstag gegen die Beschäftigungs- und Koordinierungsstellen von Ein-Euro-Jobs am 20. Mai 05. Dazu wollen wir regional bedeutende Beschäftigungsträger besuchen, belagern und be-setzen. Insbesondere werden wir die „Zwischenhändler“ ins Visier nehmen, die im Auftrag der ARGE die Vergabe der Ein-Euro-Jobs koordinieren und das Profiling durchführen. Mit diesem Aktionstag wollen wir unsere Demütigung und unser Gefühl von Ohnmacht punktuell überwinden und mit unserer Wut sichtbar werden.

Wir fordern alle Einrichtungen auf: Beteiligt Euch nicht am Ein-Euro-Job Geschäft! Wir wissen um die widersprüchliche Lage, in der sich viele Einrichtungen in Bezug auf die Einführung von Ein-Euro-Jobs wegen indi-vidueller Anfragen und Finanzierungsmangel befinden. Wir sehen jedoch in einem kollektiven Protest die einzige Möglichkeit, eine konkrete politische Absage an diese Zumutung (für ArbeitnehmerInnen und als ArbeitgeberInnen fungierende Träger) zu formulieren. Wer sich am Ein-Euro Jobprogramm beteiligt, gräbt sich langfristig selbst das Wasser ab! Ein fortschreitendes Unterhöhlen qualitativer Standards durch die Ausweitung von Ein-Euro Jobs legitimiert die Streichung weiterer Stellen und Fördergelder.
  • Wir lehnen die neue Leitlinie der Arbeitsmarktreformer „Fordern statt Fördern“ und die damit verbundene unwürdige Verarmungspolitik grundsätzlich ab.

  • Wir fordern ein bedingungsloses Grundeinkommen für ein würdiges Leben. Dieses müssen wir uns nicht erst verdienen!

  • Ein-Euro-Kopfgeldjäger stoppen!
Quelle: www.labournet.de