Mittenwald, 15.5.2005 - Pfingst-Gottesdienst aus der Perspektive der Opfer der Gebirgsjäger während des 2. WeltkriegsBilder

Aus der Perspektive der Opfer von Kriegsverbrechen, Militarismus und Faschismus!

Einladung zu einem Pfingst-Gottesdienst in Mittenwald anläßlich des Traditionspflegetreffen des 'Kameradenkreises der Gebirgstruppe e.V.'

Der Beitrag der Evangelischen Kirchengemeinde Mittenwald zum 8. Mai - kein Platz für Zeitzeugen in Mittenwald, kein Pfingstgottesdienst aus der Perspektive der Opfer von Kriegsverbrechen, Militarismus und Faschismus!

Das diesjährige Traditionspflegetreffen des "Kameradenkreises der Gebirgstruppe e.V." auf dem Hohen Brendten bei Mittenwald wird erneut durch vielfältige Aktionen antimilitaristischer und antifaschistischer Menschen begleitet werden, die, wie schon in den vergangenen drei Jahren, darauf hinweisen wollen, daß sich hier Kriegsverbrecher und Kriegsverherrlicher zu einem abstoßenden militaristischen Mummenschanz zusammenrotten.

Da im Mittelpunkt der von Bundesverteidigungsministerium, Bayerischer Staatskanzlei und der Militärseelsorge beider Konfessionen unterstützten und mitgestalteten sogenannten Brendtenfeier der Gebirgsjäger alljährlich ein ökumenischer Gottesdienst steht, wird in diesem Jahr auch ein Gottesdienst aus der Perspektive der Opfer der Gebirgsjäger während des 2. Weltkriegs stattfinden. Denn in Mittenwald treffen sich ehemalige Soldaten der faschistischen Wehrmacht, denen schwere Kriegsverbrechen an Kriegsgefangenen, bei der Bekämpfung von Partisanen und auch die aktive Verwicklung in die Deportation von Jüdinnen und Juden in Griechenland nachgewiesen werden können. Sie wurden nie konsequent verfolgt. Sie haben sich nie zu ihren Untaten bekannt. Es wurden nie angemessene Entschädigungen an ihre Opfer gezahlt. Im Gegenteil: der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber, Ehrenmitglied des "Kameradenkreises", hat vor Jahren dazu geäußert, diese Art der Traditionspflege in Mittenwald sei "unangreifbar".

Eine solche Sicht der Dinge ist nicht nur politisch, sondern auch theologisch unhaltbar und steht im schneidenden Widerspruch zu den Schuldbekenntnissen der evangelischen Kirche nach der Befreiung von Faschismus und Krieg. Ein Gottesdienst, der die Sicht auf die Opfer von Faschismus und Militarismus in den Mittelpunkt rückt, ist deshalb auch vom Selbstverständnis der evangelischen Kirchen her unabdingbar. Das wurde leider von 1952 bis heute von evangelischer Seite nicht so gesehen, wie wir selbstkritisch feststellen müssen.

Wenn es nach dem jüngsten Beschluß des Kirchenvorstands der Evangelischen Kirchengemeinde in Mittenwald geht, soll nun aber der von den drei evangelischen Pfarrern Professor Dr. theol. Heinrich Fink und Thomas-Dietrich Lehmann aus Berlin sowie Dr. theol. Hans Christoph Stoodt aus Frankfurt vorbereitete Gottesdienst nicht stattfinden. Die drei Theologen beteiligen sich an den vom bundesweiten Arbeitskreis "Angreifbare Traditionspflege" und der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten vorbereiteten Aktionen in Mittenwald.

Nach längeren Verhandlungen, in die auch Verantwortliche der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau sowie der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern einbezogen waren, verweigerte der Mittenwalder Kirchenvorstand bei seiner Sitzung ausgerechnet am Abend des Sonntag, 8. Mai, einem der drei Theologen die von diesem erbetene sogenannte Cessio, das heißt das Recht, im Gebiet der Kirchengemeinde Mittenwald als Auswärtiger einen Gottesdienst halten zu dürfen. Eine Begründung für diesen Beschluß soll noch schriftlich erfolgen. Sie kann kaum anders als auf dem Hintergrund tiefer und auch selbst benannter Verwicklung der Kirchengemeinde in das soziale Netzwerk der Gebirgsjägerkultur vor Ort verstanden werden:"Nicht zuletzt durch die Garnisonen der Gebirgsjäger ist die evangelische Gemeinde auf mehrere Tausend angewachsen." heißt es im Text einer Selbstdarstellung der Gemeinde (http://www.mittenwald-aktiv.de/Kultur/Kirche/kirche.html). Die Verweigerung der Gemeinde erstaunt uns umso mehr, als selbst die allenfalls betroffene Kollegin der evangelischen Militärseelsorge, Militärpfarrerin Carola Wagner, nachdem wir schon vor einiger Zeit Kontakt mit ihr aufgenommen hatte, für das Anliegen unseres Gottesdienstes Verständnis geäußert hat und ausdrücklich erklärt hatte, sie sehe ihn nicht als „Gegenveranstaltung“.

Das Verhalten der Kirchengemeinde paßt leider nur allzu gut zum Umfeld von Mittenwald
  • wo bis heute nicht feststeht, in welchen Räumen in wenigen Tagen sowohl die internationale Zeitzeugen aus verschiedenen Ländern (Partisanen und Widerstandskämpfer gegen die faschistische Besatzung) als auch die 1945 in Mittenwald von Truppen der USA Befreiten (Überlebende eines Dachau-Todesmarsches) ihre Geschichte erzählen können;
  • wo normale Bürger schon mal "aus Versehen" ein Hakenkreuz am Hut tragen oder PassantInnen Beifall klatschen, wenn ein KZ-Überlebender mit den Worten "Der Hitler hat vergessen, Euch zu vergasen!" angeschnauzt wird;
  • wo am 8. Mai 2005 eine trommelnde Truppe von Gebirgsschützen durch den Ort zieht.
Von alledem haben sich unseres Wissens die Evangelische Kirchengemeinde Mittenwald oder die zuständige Militärseelsorge in der Vergangenheit nie öffentlich distanziert, genauso wenig wie vom alljährlichen Brendtentreffen der Gebirgsjäger, zu dem zB. im vergangenen Jahr Bewaffnete vor den Altar am "Gebirgsjäger-Ehrenmal" traten, und die Vorderseite der Kanzel sinnigerweise mit dem "Edelweißabzeichen" der 1. Gebirgsjägerdivision geschmückt war.

Wir fordern unsere evangelischen Mitchristen in Mittenwald hiermit auf, sich von alledem klar zu distanzieren.

Und wir fordern sie auf, den überlebenden Zeitzeugen der Gebirgsjäger-Kriegsverbrechen oder der in Mittenwald vom Faschismus Befreiten, die zu Pfingsten in ihrem Ort sein werden, zB. Herrn Professor Maurice Cling, in Dankbarkeit für seine Anwesenheit, in Respekt und Gastfreundschaft entgegenzukommen und sie in ihre Räumlichkeiten aufzunehmen. Es kann keinen denkbaren Grund geben, sich anders zu verhalten.

Im Übrigen werden wir uns daran beteiligen, die anwesenden Touristinnen und Touristen sowie die BesucherInnen des zeitgleich stattfindenden Internationalen Geigenbauwettbewerbs über dies alles sowie darüber informieren, daß in Mittenwald offenbar Gäste und Gottesdienste nur dann erwünscht sind, wenn sie in der Kleinstadt des Henkers nicht nach dem Strick fragen.

So laden wir herzlich zu einem Gottesdienst ein, der, so scheint es, von den evangelischen Christinnen und Christen in Mittenwald ängstlich beobachtet werden wird. Dennoch soll er für alle Christenmenschen von nah und fern, so hoffen wir es, die frohe Botschaft von Pfingsten mit dem tief empfundenen Respekt vor den Opfern der NS-Diktatur und denjenigen, die sie mutig bekämpft haben, verbinden. Der Gottesdienst wird geleitet von Professor Dr. Heinrich Fink und Pfarrer Thomas-Dietrich Lehmann. Er findet am Sonntag, 15. Mai 2005, 12.30 Uhr in Mittenwald, Obermarkt / Ecke Hochstraße statt.

Professor Dr. Heinrich Fink, Berlin
Pfarrer Thomas-Dietrich Lehmann. Berlin
Pfarrer Dr. Hans Christoph Stoodt, Frankfurt

Berlin und Frankfurt, 10. Mai 2005