Köln, 19.11.2005 - Neo-Nazis vor dem DGB-Haus und der Protest dagegenBilder

Erfolgreicher Protest gegen Nazi-Aufmarsch

Pressemeldung von Jörg Detjen, Mitglied im Rat der Stadt Köln

Polizeipräsident Steffenhagen löst neofaschistische Kundgebung auf - 400 Menschen demonstrierten am 19. November vor dem DGB-Haus gegen den Nazi-Aufmarsch von Axel Reitz

An der Kundgebung nahmen neben dem Bezirksbürgermeister Hupke, dem Vorsitzenden des Integrationsrates Tayfun Keltek auch der gesamte Bezirksvorstand von ver.di teil. Die Kundgebung war vom Ratsmitglied Jörg Detjen angemeldet.

Rechtsanwalt Hans Decruppe erklärte als Anwohner: „Als Jurist sage ich: Dieses Treiben gehört verboten. Stehen wir als Bürger in Solidarität zusammen und zeigen, dass diese Kräfte nicht den Hauch einer politischen Chance bekommen.“

Claudia Wörmann-Adam moderierte die Kundgebung und forderte für den Bezirksvorstand von ver.di: „Wir brauchen mehr Engagement gegen den rechten Mob heute und jeden Tag auf der Straße und im Betrieb.“

Peter Trinogga, von der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regime (VVN/BdA) meinte: „Seit 1990 wurden über 200 Menschen in der Bundesrepublik von den braunen Gangstern ermordet. Und dann wollen die Mörder uns weismachen, es ginge um Meinungsfreiheit! Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.“ Alexander Simon sprach als Vertreter der Studierenden in Köln.

Am Ende der Kundgebung gegen Rechts sammelten sich ca. 50 Nazis um den selbsternannten Gauleiter Axel Reitz. Nachdem offensichtlich wurde, dass Axel Reitz faktisch eine Fortsetzungsveranstaltung der verbotenen Nazi-Kundgebung vom 9. November durchführte, löste Polizeipräsident Steffenhaben die Versammlung kurzerhand auf, bevor sich die rechte Demonstration überhaupt in Bewegung setzen konnte.

In der Zwischenzeit hatten sich an der Route der vorerst genehmigten Demonstration der Nazis in der Innenstadt bereits hunderte Demonstranten versammmelt. Alleine an der Kreuzung Moltkestr./Aachener Str. standen über 100 Demonstraten. Per Lautsprecher unterrichtete die Polizei die Teilnehmer vom Verbot der Reitz-Kundgebung. Die Freunde war groß.


Faschismus ist keine Meinung, Faschismus ist ein Verbrechen!

Rede von Peter Trinogga, Sprecher der VVN/BdA

Liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten,

vor 10 Tagen haben sich viele von uns schon einmal versammelt. Die Ursache am 9. November war die gleiche wie heute: Der angekündigte Aufmarsch des einschlägig bekannten und vorbestraften Neonazis Axel Reitz und seiner braunen Kumpane. Am Abend des 67. Jahrestages der Reichspogromnacht ging es uns um den Schutz der Synagoge, die Solidarität mit den Bürgerinnen und Bürgern jüdischen Glaubens und den Protest gegen Antisemitismus. Heute geht es auch darum, sich schützend vor das Kölner Gewerkschaftshaus zu stellen. Die Hassobjekte der neuen Nazis sind die gleichen, wie die ihrer historischen Vorbilder: Juden auf der einen, die Arbeiterbewegung auf der anderen Seite.

Reitz hat seine geplante Zusammenrottung unter das Motto "Meinungsfreiheit ist erlernbar! Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden!" gestellt. Diese Losung aus seinem Mund ist an Infamie und Zynismus nur schwer zu überbieten. Rosa Luxemburg, die in Polen geborene deutsche Kommunistin jüdischer Herkunft, von der der zweite Teil der Reitz-Losung stammt, wurde von Freikorpsleuten ermordet, die bereits damals ihre Stahlhelme mit Hakenkreuzen versehen hatten. Ihr Weg führte von der Niederschlagung der Revolution im Auftrag des Kapitals und leider auch der SPD direkt in die Reihen der Nazis.

Rassenhetze führte in die Gaskammern

Aber Reitzens Motto ist überdies auch noch verlogen. Es geht nicht um Meinungsfreiheit, denn Faschismus ist keine Meinung, Faschismus ist ein Verbrechen! Die Aufhetzung zum Menschenhass unter dem Vorwand, sie gehörten zu einer anderen "Rasse", führte im Faschismus auf direktem Weg in die Gaskammern der Vernichtungslager. Die Propaganda des Nationalismus und des deutschen Dünkels - am deutschen Wesen sollte schließlich die Welt genesen - führte in einen Krieg, in dem Millionen Menschen ihr Leben ließen, bis die Welt vom Hitlerfaschismus befreit war. Die Hetze gegen Migrantinnen und Migranten führte zum qualvollen Tod von Frauen und Kindern in Solingen - und leider nicht nur dort. Und die Hetze gegen alle diejenigen, die den Nazis aus irgendwelchen Gründen nicht in den Kram passen, führte erst im vergangenen Jahr zum Mord an einem Punk in Dortmund. Seit 1990 wurden über 200 Menschen in der Bundesrepublik von den braunen Gangstern ermordet.

Und dann wollen die Mörder uns weismachen, es ginge um Meinungsfreiheit! Unser Protest richtet sich nicht gegen die Freiheit, eine Meinung haben und propagieren zu dürfen - er richtet sich gegen die Vorbereitung von Verbrechen!

Er richtet sich aber auch gegen diejenigen, die Reitz’ Provokation am 9. November verbieten - schließlich steht der Ruf der Bundesrepublik im Ausland auf dem Spiel, und das Bild von Neonazis mit Fackeln, die an der Kölner Synagoge vorbeiziehen, wäre doch vielleicht zu peinlich -, nur um sie 10 Tage später zu genehmigen. Er richtet sich auch gegen eine Politik und eine Justiz, die Nazi-Zusammenrottungen immer wieder erlauben, obwohl sie die Mittel hätten, die Demonstrationen und die Gruppen die sie organisieren, zu verbieten.

Grundgesetzartikel 139 angeblich ungültig

Im Grundgesetz, das nicht zuletzt von Frauen und Männern geschaffen wurde, die aus der Emigration oder den Zuchthäusern der Nazis kamen, und das eine antifaschistische Verfassung sein sollte, gibt es einen Artikel 139, der nur ganz kurz ist und folgendermaßen lautet: "Die zur Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus erlassenen Rechtsvorschriften werden von den Bestimmungen dieses Grundgesetzes nicht berührt". Das bedeutet, die Gesetze der alliierten Befreier unseres Landes, wie zum Beispiel das Verbot aller Nazi-Organisationen und das Verbot, sie neu zu gründen, gelten weiter. Eine Gruppe, wie den "Kampfbund Deutscher Sozialisten", das ist die Bande, der u.a. Reitz angehört und die sich direkt auf ihre Nazi-Vorbilder bezieht, dürfte es eigentlich gar nicht geben.

Die herrschende Meinung der Rechtswissenschaft allerdings ist, dieser Artikel sei obsolet, d.h. er habe sich sozusagen von selbst erledigt. Vertreten wird diese Meinung beispielsweise im renommiertesten Grundgesetzkommentar, der vom ehemaligen Bundespräsidenten Herzog mit verfasst wurde. Über einen der Väter dieses Kommentars, den als "seriös" bekannten Juristen Maunz, wurde nach seinem Tod vor wenigen Jahren bekannt, dass er regelmäßig unter einem Pseudonym in der Nationalzeitung, dem Nazi-Hetzblatt aus München, geschrieben hatte und ein Berater des DVU-Chefs Frey war. Wer wundert sich da noch über die angebliche Ungültigkeit des Artikels 139? Gegenüber der internationalen Staatengemeinschaft in der UNO hatte die Bundesregierung übrigens darauf bestanden, dass dieser Artikel noch gelte und vom "neuen Deutschland" deshalb keine Gefahr mehr ausginge. Nach innen soll das allerdings nicht gelten.

Justiz und Polizei machen sich mitschuldig

Wir sollten das Grundgesetz, trotz all der Verschlechterungen, die seit den fünfziger Jahren an seinem Text vorgenommen wurden, nutzen und auf Verbot aller neofaschistischen Gruppierungen und Parteien bestehen. Eine Justiz oder Verwaltung oder Polizei, die die Hetze von Reitz und seinen Freunden oder von der NPD oder wie die Gruppen alle heißen, zulässt oder ermöglicht, macht sich mitschuldig! Nazi-Organisationen gehören verboten, ihre Aufmärsche aufgelöst, denn Faschismus ist keine Meinung, Faschismus ist ein Verbrechen!

Wer übrigens meint, er könne sich der Hetze durch Ignorieren oder Wegducken entziehen, der täuscht sich nicht nur gewaltig, sondern macht sich angreifbar. Nazis muss man bekämpfen, auch und gerade auf den Straßen, nicht ignorieren.

Ich spreche für die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten. Diese Organisation wurde 1947 von den überlebenden Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfern aller politischen Richtungen gegründet. Die meisten dieser Menschen leben heute nicht mehr oder sind so alt, dass sie selber hier nicht mehr stehen können. Umso mehr haben wir Jüngeren die Verpflichtung, in ihrem Geist weiter zu machen, gegen den braunen Ungeist einzuschreiten, wo immer er sich zeigt und ihm auf keinen Fall protestlos die Straße zu überlassen. Für das, was die Alten sich geschworen hatten, "Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg", müssen wir heute noch - und leider mehr denn je - kämpfen, damit die Nazis niemals wieder durchkommen.