Köln, 8.-15.11.2007 - Streik der LokomotivführerBilder

»Bahn verbreitet, wir müßten bald alle verhungern«

Medien und DB AG machen Stimmung gegen streikende Lokführer - Gespräch von Anneliese Fikentscher mit Steffen Walter, Streikleiter der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) in Köln - 'junge Welt', 17.11.2007

Donnerstag nacht haben Sie Besuch aus Frankfurt am Main bekommen. Zwei Herren vom Bahn-Management kamen zu den streikenden Lokführern in Köln. Was wollten die beiden?

Die wollten unsere Streikbereitschaft auskundschaften. Sie luden uns zum Gespräch in die Betriebsräume der Bahntochter Railion ein, für die wir während des Streiks Hausverbot haben. Wir haben also dankend abgelehnt, sie mit an die Tonne gestellt und ihnen einen Kaffee angeboten. Bei dem Gespräch hätten unsere Frauen dabei sein sollen. Die hätten denen klar gemacht, was bei diesen Dienstzeiten in einer Beziehung so abgeht.

Was halten Sie von den Angeboten der DB AG?

Da ist kein Angebot dabei, das für uns verhandlungsfähig ist. Uns wurden 4,5 Prozent Lohnerhöhung angeboten. Das deckt sich genau mit dem, was Transnet angenommen hat. Angeboten ist eine Einmalzahlung von 2000 Euro, von denen netto 1400 Euro übrig bleiben. Diese Leistung wird aber nur erbracht, wenn die entsprechenden Überstunden da sind. Das heißt: Man gibt uns diese »Erhöhung« für eine Leistung, die wir bereits erbracht haben, die aber noch nicht bezahlt wurde. Die Bahn will damit zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: uns den Mund wäßrig machen und ganz geschickt angefallene Mehrarbeit abbauen. Einige Kollegen schieben mittlerweile einige hundert Überstunden vor sich her.

Wie sieht es mit den Arbeitsbedingungen aus? Es gibt Zahlen, die davon ausgehen, daß die Bahn im Zeitraum von 1994 bis 2006 die Belegschaft halbiert hat.

Die Überstunden kommen ja nicht von ungefähr. Im Bereich Triebfahrzeugdienst wurden ganz gezielt Arbeitsplätze abgebaut. Die Auszubildenden werden in der Regel nicht übernommen, egal wie die Leistungen aussehen. Die Kollegen fahren, soviel sie können, aber es wird immer mehr mit immer weniger Personal. Das drückt sich auch in den Dienstplänen aus. Es wird uns ein Minimum an Erholzeiten gegönnt. In zwölf Stunden sind 45 Minuten Pause gesetzlich vorschrieben. Es kann aber vorkommen, daß die in der Schicht so zerstückelt werden, daß davon dreimal 15 Minuten übrigbleiben. Oder es ist zwei Stunden nach Dienstbeginn eine Pause von einer halben Stunde disponiert, dann bleiben zehn Stunden mit einer Pause von 15 Minuten vor mir. In 15 Minuten ist aber keine Erholung möglich.

Wie kommt die Forderung von 31 Prozent Lohnerhöhung zustande?

Diese Zahl wurde von der Bahn in die Welt gesetzt. Die GDL hat –neben dem eigenen Tarifvertrag –übersprünglich nur gefordert, daß bestimmte Zulagen in Gehaltsbestandteile umgewandelt werden. Wir haben verglichen mit anderen Berufsgruppen einen sehr hohen Anteil an Zuschlägen. Aber wenn ich krank bin, dann bekomme ich diese nicht gezahlt, und auch in die Rentenberechnung fließen sie nicht ein. Wenn – was jetzt in der dunklen Jahreszeit wieder verstärkt vorkommt – Selbstmörder vor den Zug springen, dann verliert der Kollege, der zudem traumatisiert ist, während der Krankheitsphase an Einkommen.

Unsere ursprüngliche Forderung bestand aus einer Zahl X plus diese Zulagen. Daraus hat die Bahn 31 Prozent Lohnforderung gemacht und hat das immer wieder in den Medien zelebriert. An irgendeinem Punkt hat unser Vorsitzender Schell dann gesagt: Jetzt will ich die 31 Prozent.

Die Medien suggerieren Chaos und Millionenschäden. Wie gehen Sie mit diesem Druck um?

Von der Bahn wird hektisch verbreitet, wir müßten wegen des Streiks alle verhungern und die Öfen blieben kalt, weil keine Kohlen mehr da sind. Wir wollen aber kein Chaos. Wir wollen ernst zu nehmende Verhandlungen. Denn jede Leistung in dieser Gesellschaft hat einen bestimmten Preis. Wenn ich diesen Preis nicht bezahlen kann, kann ich die Leistung nicht haben. Wenn ich ein Haus kaufen will und kann es nicht bezahlen, dann bekomme ich es nicht. Und wenn die Bahn die Kollegen nicht für ihre Leistungen bezahlt, dann kriegt sie die Leistung nicht. So ist das.