Berlin, 6.11.2011 - Dr. Seltsams Wochenschau "Arabische Revolutionen - Aufstieg der Armen oder Märchen aus 1001 Nacht?"

1 Öffentliche Veranstaltung zu den Arabischen Revolutionen und zum Krieg gegen Libyen mit Sabine Kebir, Brecht-Biografin und Algerien-Expertin, Mitautorin des Standardwerkes über den "Arabischen Frühling" und mit Gerd Bedszent, Mitautor des aktuell erschienenen Buches "Libyen". Moderation: Dr.Seltsam, Musik: Detlev K.

2 Gerd Bedszent: "Als die Welle sozialer Unruhen in den arabischen Staaten die Libysch-Arabische-Volks-Jamahirija erreichte, gab der Westen seine beim Sturz der Regimes in Tunesien und Ägypten geübte Zurückhaltung schnell auf." "Der libysche Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi, der ab 1969 die Geschicke des Landes lenkte, ist zweifelsfrei eine widerspruchsvolle Persönlichkeit. Zu seinen Verdiensten gehört die Beendigung der westlichen Militärpräsenz im Lande: 1970 wurden die britischen und US-Stützpunkte geschlossen." "Die durchschnittliche Lebenserwartung stieg in den vier Jahrzehnten von knapp 53 auf 75 Jahre. Die repressiven Methoden, mit denen Gaddafi seine Herrschaft absicherte, hoben sich allerdings nicht sonderlich von anderen Präsidialdiktaturen dieser Region ab." "Spätestens seit der Kooperation libyscher Sicherheitskräfte mit der westeuropäischen Agentur Frontex degradierte sich Gaddafi selbst zum Handlanger des Imperialismus."

3 Sabine Kebir: "Die Zukunft wird zeigen, dass die Naivlinge, die Gaddafi feige ermordeten, nicht mehr wert sind als er selbst, schreibt der algerische Blogger Rachid Bahri. Sie haben die Zerstörung ihres Landes zugelassen durch diejenigen, die von den Reichtümern Libyens profitieren."

4 "Wenn die Menschenrechte als unteilbar definiert werden,(...),dann heißt das: Sie haben auch für die größten Menschenrechtsverletzer zu gelten, sobald sie besiegt sind." Die brutale Misshandlung und Folter Gaddafis, bei der ihm, wie Handyvideos zeigen, u.a. ein Messer in den Anus gesteckt wurde, und seine kaltblütige Hinrichtung sind beispielhaft für die brutalen Methoden, mit denen die "Rebellen" gegen Tausende von Libyern vorgehen.

5 Die kriegerischen Aggressionen der imperialistischen Regime wurden mit dem demagogischen Deckmantel der "Sicherung der Menschenrechte und des Schutzes der Zivilbevölkerung" getarnt. Geschehen ist das Gegenteil. 60.000 Libyer überlebten den "Schutz"-Krieg der Nato nicht. Ein Großteil der Infrastruktur des Landes wurde zerstört, wie vordem schon im Irak, Afghanistan, Jugoslawien und in anderen Ländern. Der Luft-Krieg gegen Libyen und die Massaker der von den USA, Frankreich Großbritannien, Katar und Saudi Arabien ausgerüsteten, finanzierten und von Spezialeinheiten, Killerkommandos und Geheimdiensten dieser Länder unterstützten sogenannten "Rebellen" forderten zuzüglich der Toten zehntausende Verwundete unter der libyschen Bevölkerung.

6 "Rassismus gegen Schwarze und Menschen aus anderen afrikanischen Ländern ist in Libyen an der Tagesordnung."

7 Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch veröffentlichte einen detaillierten Bericht über die rassistischen Massenpogrome gegen schwarze Libyer und Gastarbeiter aus anderen afrikanischen Staaten. Die Bevölkerung von Tawergha, einer hauptsächlich von Schwarzen bewohnten Stadt mit 30.000 Einwohnern südlich von Misrata wurde Opfer einer ethnischen "Säuberung". Viele von ihnen wurden von den "Rebellen"-Milizen verhaftet, gefoltert und ermordet. Tawergha wurde entvölkert, die Gebäude zerstört und die Vertriebenen werden weiterhin verfolgt. Grausam war das Schicksal der Menschen, die mit Knüppeln, Peitschen, Elektroschocks und anderen Folterwerkzeugen zu Tode gequält wurden. Viele Tausende sind weiterhin der Folter der "Rebellen" in improvisierten Gefangenenlagern ausgeliefert.

8 Das "Rebellen"-Regime, das von übergelaufenen Gaddafi-Ministern und langjährigen Mitarbeitern imperialistischer Geheimdienste dominiert wird, versucht zusammen mit der Nato die Zeit um 42 Jahre zurückzudrehen, in die Zeit von König Idris, der sich einen Kinderharem hielt, als die USA, das britische Militär und die Ölkonzerne das Land fest im Griff hatten.

9 Ein wichtiger Grund für die Intervention der Nato in Libyen war, sich den größtmöglichen Anteil am Ölreichtum des Landes zu sichern, auf Kosten von China und Russland. Auch die Kriegsvorbereitungen der USA, der Nato und Israels gegen den Iran sind in diesem Zusammenhang zu sehen. Ein angebahnter Krieg letztendlich auch gegen China und andere Staaten.

10 Ein weiterer wichtiger Grund für die Nato-Intervention ist der Versuch, die sich ausbreitend entwickelnde soziale Revolution in Nordafrika und anderswo abzuwürgen.

11 Gerd Bedszent: Publikationen zur Arabischen Revolution und zu Libyen unter anderem in "Ossietzky", Heft 5, März 2011; www.sopos.org und in LIBYEN (Edlinger,Fritz (HG)), Hintergründe, Analysen, Berichte ISBN 978-3-85371-330-3, 208 Seiten, 15,90 Euro

12 Sabine Kebir: diverse Publikationen siehe u.a. www.sabine-kebir.de