Aus der Welt der Medien - über Pressefreiheit, Repression, Manipulation und andere Tendenzen

Was haben Heinrich Böll, Carola Stern, Gerd Ruge und Theo Sommer mit der CIA zu tun?
Über die staatliche Steuerung von Kunst und Medien durch eine 'kriminelle Vereinigung' - Betrachtung zur Dokumentation 'Benutzt und gesteuert - Künstler im Netz der CIA' von Hans-Rüdiger Minow, ausgestrahlt am 29.11.2006 bei 'arte'

"Die deutsche, die europäische und die internationale Öffentlichkeit, sie alle sind über Jahrzehnte getäuscht worden. Was wie der staatsferne Streit um Politik und Kultur aussah, war staatlich gesteuert." Mit diesen Worten faßt Hans-Rüdiger Minow, Autor der arte-Dokumentation, im Rahmen einer Pressevorführung am 23.11.2006 die Kernaussage treffend zusammen.

Es ist Sonntag, der 3. Dezember 2006: morgens in WDR2 werden wir informiert über ein Cart-Rennen in Kerpen und einen Weihnachtsmarkt in Celle. Und wir hören Musik des anglo-amerikanischen Sprachraums. Passagen aus 'Canto General' von Pablo Neruda in der Vertonung von Mikis Theodorakis hören wir hier nicht. An anderen Tagen werden wir im WDR-Morgenmagazin konfrontiert mit dem Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr, als ginge es dabei nicht um eine Beteiligung an einem völkerrechtswidrigen Raubüberfall auf ein strategisch wichtiges Land. Die Fernseh- und Kinoprogramme sind vollgestopft mit Produktionen aus Hollywood. Als links geltende Zeitschriften wie 'Konkret', 'Jungle World' und 'Blätter für deutsche und internationale Politik' sind mit Positionen der USA-Israel-Lobby, mit so genannten antideutschen Positionen durchsetzt. Die Chefredakteure von 'Spiegel' und 'Zeit', Stefan Aust und Josef Joffe, schreiben und äußern sich, als wären sie Agenten der USA. Dem Journalisten Gerhard Wisnewski, der im WDR-Fernsehen die Aufklärung des Falles 9/11 betrieben hatte, erteilt der WDR Beschäftigungsverbot. WDR-Morgenmagazin-Moderator Helmut Rehmsen moderiert im WDR-Fernsehen eine Sendung zur Diffamierung Gerhard Wisnewskis. Gefährliche Systemkritiker verschwinden zu früh von der Bühne der politisch-kulturellen Auseinandersetzung. Die in Zusammenhang mit 9/11 von der "radikalsten faschistischen Verleugnung des amerikanischen Rechtssystems" sprechende US-Schriftstellerin Susan Sontag, der deutsche Schriftsteller Bernd Engelmann und der Chilene Pablo Neruda sterben an Krebs. Der von der CIA observierte Musiker John Lennon und die an einem Enthüllungsbuch arbeitende 'Grüne' Petra Kelly finden einen gewaltsamen Tod.

Die arte-Dokumentation 'Benutzt und gesteuert - Künstler im Netz der CIA' spart den Bereich von Politik und Medien weitgehend aus. Aber sie ist ein Schlüssel zum Verständnis wesentlicher Zusammenhänge in Kunst und Kultur - übertragbar auf Medien und darüber hinaus.

Nachfolgend ein Extrakt aus der arte-Dokumentation und damit in Zusammenhang stehenden Veröffentlichungen, insbesondere aus denen bei german-foreign-policy.com - ergänzt um Informationen aus öffentlich zugänglichen, als neutral geltenden Quellen.

Personen im CIA-Netz
  • Joseph Caspar Witsch (nach Tod von Gustav Kiepenheuer am 6.4.1949 und Ausbootung von dessen Frau Noa Inhaber des Verlages 'Kiepenheuer und Witsch', Böll- und Silone-Herausgeber, führender Kopf der Kölner Nebenstelle der CIA-Organisation 'Kongress für kulturelle Freiheit', nationalsozialistischer Kulturfunktionär, Mitglied der SA)

  • Berend von Nottbeck (tätig in der Kölner Nebenstelle der CIA-Organisation 'Kongress für kulturelle Freiheit', Herausgeber von Schriften eines 'Publizistischen Zentrums für die Einheit Deutschlands', SS-Untersturmführer, Agent der NS-Auslandsspionage im Reichssicherheitshauptamt RSHA)

  • Ignazio Silone (italienischer Schriftsteller, verlegt durch 'Kiepenheuer und Witsch', langjähriger Spitzel von Mussolinis Geheimpolizei OVRA, ab 1956 Herausgeber der CIA-Zeitschrift 'Tempo Presente')

  • Dr. Otto Wesemann (tätig in der Kölner Nebenstelle der CIA-Organisation 'Kongress für kulturelle Freiheit', 1960-68 Gründungsintendant der Deutschen Welle, SPD-Mitlgied, namentlich identisch mit dem früheren Gestapo-Lockspitzel und Leiter des Wirtschaftsressorts bei der Goebbels-Zeitschrift 'Das Reich')

  • Klaus Piper (Piper Verlag)

  • Heinrich Böll (Schriftsteller, verlegt durch 'Kiepenheuer und Witsch', Sympatisant für 'Dissidenten' wie Alexander Solschenizyn und Wolf Biermann, Autor der CIA-Zeitschrift 'Der Monat', Mitglied der CIA-Gründung 'Komitee der Verleger und Schriftsteller für europäische Zusammenarbeit')

  • Carola Stern (tatsächlicher Name: Erika Assmuss, politische Lektorin bei 'Kiepenheuer und Witsch', zeitweise Freundin von Heinrich Böll, WDR-Journalistin, WDR-Personalrätin, US-Agentin in der DDR, 1961 Mitbegründerin der Deutschen Sektion von Amnesty International, 1974 Carl-von-Ossietzky-Medaille, 2001 Großes Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland)

  • Gerd Ruge (1964-1969 ARD-Chefkorrespondent in den USA, 1961 Mitbegründer der Deutschen Sektion von Amnesty International, 1972 Bundesverdienstkreuz)

  • Klaus Harpprecht (ZDF-Chefkorrespondent in den USA, ab 1954 Kommentator beim RIAS, ab 1967 Herausgeber der CIA-Zeitschrift 'Der Monat', ab 1969 dessen geschäftsführender Redakteur, 1972-74 Berater von Bundeskanzler Willy Brandt für Internationale Fragen, besonders USA, Westeuropa und Israel, dessen Redenschreiber, 1977/1978 Chefredakteur der Zeitschrift 'GEO')

  • Raymond Aron (französischer Soziologe und Philosoph, Herausgeber der CIA-Zeitschrift 'Preuves')

  • Denis de Rougemont (Schweizer Schriftsteller und Kulturphilosoph, 1942-43 Chefredakteur der franz. Ausgabe der 'Stimme Amerikas', 1950 Gründer des Europäischen Kulturzentrums (Centre Européen de la Culture) in Genf, 1951-66 Präsident des Exekutivkomitees der CIA-Organisation 'Kongress für kulturelle Freiheit', ab 1963 Professor am Institut für europäische Studien in Genf)

  • Theo Sommer (Schüler von Henry Kissinger, Präsidiumsmitglied des Londoner 'Internationalen Instituts für Strategische Studien', Mitglied der Atlantik-Brücke, ab 1958 politischer Redakteur der 'Zeit', ab 1973 deren Chefredakteur, seit 1983 deren Mitherausgeber)

  • Jürgen Rühle (1956-62 Lektor bei 'Kiepenheuer und Witsch', Mitarbeit bei 'Der Monat', 'Das Parlament', 'Die Welt', 'Die Zeit', 'Der Spiegel', BBC, 'Soviet Survey' London, 'Forum' Wien, 'Problems of Communism' Washington, ab 1963 Leiter der Ost-West-Redaktion beim WDR-Fernsehen)

  • Francois Bondy (Schweizer Journalist und Schriftsteller, ab 1947 Redakteur der 'Weltwoche', 1951 Gründung der CIA-Zeitschrift 'Preuves' in Paris, bis 1969 deren Publikationsdirektor)

  • Arthur Koestler (englischer Schriftsteller, Äußerung beim Kongress für kulturelle Freiheit in Berlin: "Die Intellektuellen des Westens haben ihre Defensivpositionen verlassen. Freunde! Die Freiheit hat die Offensive ergriffen.")

  • Melvin Lasky (US-amerikanischer Publizist, führende Position in der CIA-Organisation 'Kongress für kulturelle Freiheit', 1948 Gründer der CIA-Zeitschrift 'Der Monat', bis 1962 deren Herausgeber, Herausgeber des 1953 gegründeten englischen CIA-Magazins 'Encounter')

  • Shepard Stone (ab 1935 zweiter Chefredakteur der Sonntagsausgabe der 'New York Times', ab 1950 Leiter des Amtes für öffentliche Angelegenheiten und Informationswesen beim amerikanischen Hochkommissar in Deutschland, ab 1953 Mitglied im Stab der 'Ford Foundation', 1968-73 Präsident der CIA-Organisation 'Kongress für die kulturelle Freiheit' in Paris, 1974 Gründungsdirektor des Berliner Aspen-Instituts, Ehrenbürger Berlins, Träger des Bundesverdienstkreuzes)

  • Michael Josselson (Führende Position in der CIA-Organisation 'Kongress für kulturelle Freiheit', Zusammenarbeit mit deutschen Frontorganisationen wie der 'Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit')

  • Tom Braden (CIA-Führungsoffizier des 'Kongresses für kulturelle Freiheit')

  • Direktor des Berliner Kaiser-Friedrich-Museums

  • Direktor des Londoner Institute of Contemporary Art

  • Direktor des Pariser Musée Nationale d'Art Moderne

  • Personen im Umkreis des 'Spiegel'

  • Personen im Umkreis des 'Stern'
(Tarn-)Organisationen der CIA
  • Kongress für kulturelle Freiheit (Hauptsitz Paris, Nebenstellen in allen westeuropäischen Ländern, in der BRD in Köln, West-Berlin, Frankfurt am Main, München und Hamburg)
  • Centre Européen de la Culture (Schweiz)
  • Writers' and Publishers' Committee for European Cooperation - Komitee der Verleger und Schriftsteller für europäische Zusammenarbeit (1956/57 von der CIA gegründet, Mitlgied: Heinrich Böll)
  • Stiftung des Europäischen Hilfswerks für Intellektuelle (ab 1966, Sitz Genf, als Ehrenmitglied geführt: Heinrich Böll, Ziel: subversive Tätigkeit in Osteuropa)
  • CIA-Stabsstelle Berlin (Flughafen Tempelhof, hier beschäftigt der US-Geheimdienstapparat mehrere tausend Mitarbeiter)
  • Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (betreibt Spionage, ist als terroristische Vereinigung für viele Gewalttaten verantwortlich
  • )
Vom CIA-Netzwerk betriebene Operationen
  • verdeckte, weltweite Meinungsbildung
  • Steuerung von Großorganisationen wie Gewerkschaften und Parteien durch Agenten (Egon Bahr 1996: "Alle Bundeskanzler von Konrad Adenauer bis Helmut Kohl waren IM der CIA."
  • Unterhalten hochrangiger Beziehungen zu Redaktionen sämtlicher großer Fernsehanstalten und Printmedien
  • Finanzierung von Publikationen
  • Finanzielle Unterstützung ausgewählter Personen
  • Gewinnung von Intellektuellen und Künstlern für den Einsatz an der US-Kulturfront
  • Rekrutierung von Agenten
  • Förderung des abstrakten Expressionismus
  • Förderung atonaler Musik
  • Produktion von Propagandafilmen 'für die Freiheit' (u.a. verfälschende Verfilmung von George Orwells '1984' als anti-kommunistisches Fanal)
  • Einschleusen von Propagandamaterial in den Osten
  • Einschleusung gefälschter Literatur in die sowjetisch besetzte Zone (DDR)
  • Anschläge gegen die Sozial- und Wirtschaftsstruktur der DDR
  • Heranzüchten von 'Dissidenten' in Polen, Sowjetunion und DDR
  • Herausbilden einer intellektuellen transatlantischen Gemeinde
Publikationen der CIA und deren Umfeld
  • Der Monat (Literatur-Zeitschrift in West-Deutschland, 1966 aufgekauft von der 'Zeit')
  • Preuves (Frankreich)
  • Encounter (England)
  • Tempo Presente (Italien)
  • Forum (Österreich)
  • Literaturzeitschrift L76 (herausgegeben von Günter Grass, Heinrich Böll und Carola Stern, versteht sich u.a. als Forum für 'Verfemte' des 'Prager Frühlings')
In die CIA-Finanzierung eingebundene Organisationen
  • Friedrich-Ebert Stiftung
  • Bank für Gemeinwirtschaft
  • Ford-Stiftung (USA)
  • Chase Manhattan Bank/Zweigstelle Basel
  • Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI)
Vom CIA-Netzwerk bekämpfte Personen
  • Pablo Neruda
  • Thomas Mann (bezeichnet den Antikommunismus als Grundtorheit unserer Epoche)
  • Jean-Paul Sartre
  • Simon de Beauvoir
Funktionen des Verlegers Joseph C. Witsch (Schlüsselfigur geheimdienstlicher Kultur-Operationen in der Bundesrepublik)
  • Kontakt mit der Pariser CIA-Kulturzentrale
  • Ankoppelung des von ihm betreuten Kreises deutscher Intellektueller an das Bundesministerium des Innern (BMI) und andere Stellen
  • Vermittlung von Berichten Heinrich Bölls über dessen Reisen nach Polen an das Außenministerium
Günter Grass resümiert: "Mittlerweile.. ist ja wohl auch dem letzten... deutlich geworden, daß dieser CIA eine kriminelle Vereinigung ist. Das teilt er mit vielen Geheimdiensten. Und wir haben heute als Deutsche alle Mühe, uns von der Praxis, von der kriminellen Praxis, möglichst fernzuhalten."

Auf die Frage: "Ihre Dokumentation endet in den 1970er Jahren. Endet zu diesem Zeitpunkt auch die Agententätigkeit in den deutschen Medien?" antwortet der Autor Hans-Rüdiger Minow: "Das zu glauben wäre naiv... man hat neue Überzeugungstäter gefunden."



Anhang

arte-Presseinformation

Der amerikanische Geheimdienst CIA finanzierte nach dem Zweiten Weltkrieg enorme Summen, um hochrangige europäische Künstler und Schriftsteller zu manipulieren. Die Dokumentation weist nach, dass die Einflussnahme des CIA bis in die Redaktionen westdeutscher Verlage und Sendeanstalten reichte und dass prominente Künstler wie der spätere Nobelpreisträger Heinrich Böll unwissentlich für den amerikanischen Geheimdienst tätig waren.

Mehrere hundert Millionen Dollar investierte der US-Auslandsgeheimdienst, um in einer der größten Nachkriegsoperationen ein weltweites Kulturnetz zu knüpfen. Zentrum der CIA-Aktivitäten war der "Kongress für kulturelle Freiheit" - eine Organisation mit Sitz in Paris unter vollständiger Kontrolle der dort tätigen US-Agenten. Nationale Zweigorganisationen unterhielt der "Kongress" in sämtlichen Staaten Westeuropas. Und die Pariser Zentrale finanzierte in großem Stil "Kongress"-Zeitschriften für den Einsatz in Afrika, Lateinamerika und den arabischen Ländern. Ziel war der Kampf für amerikanische Werte in Bildender Kunst, Literatur und Musik. Insbesondere sozialkritische Intellektuelle und Künstler aus dem linken Lager waren für den "Kongress" von Interesse. Mit geheimdienstlichen Mitteln sollten sie marxistischen Einflüssen entzogen und für den Einsatz an der US-Kulturfront bereitgemacht werden.

Als französische Plattform der Einflussnahme diente die Zeitschrift "Preuves" unter dem Soziologen Raymond Aron. In Deutschland sammelte der "Kongress" seine ahnungslosen Kulturträger im Umkreis des Blattes "Der Monat". Die Finanzierung übernahm ab etwa 1958 die CIA. Zu den Mitarbeitern gehörten die wichtigsten Vertreter des westdeutschen Journalismus und der Verlagswelt. Neben Stützpunkten in Westberlin, München und Frankfurt am Main verfügte der "Kongress" über eine Niederlassung in Köln mit hochrangigen Beziehungen, die in die Redaktionen sämtlicher großer Fernsehanstalten und Printmedien reichten. Unter anderem wurde auch um Heinrich Böll geworben - mit Erfolg, wie die Dokumente bestätigen. Der spätere Nobelpreisträger arbeitete dem "Kongress" und seinen Organisationen über mindestens zehn Jahre zu - ohne die Hintergründe zu kennen, wie Günter Grass, eine andere Zielperson der CIA, vermutet. Nicht nur auf Böll und Grass hatte es der "Kongress" abgesehen. Die erste Riege deutscher Literaten, bildender Künstler, Musiker und Kunstkritiker stand im Fadenkreuz der CIA und stellte sich, meist unwissentlich, zur Verfügung.

"Benutzt und gesteuert - Künstler im Netz der CIA" folgt den Spuren der geheimdienstlichen Kulturarbeit anhand zahlreicher Dokumente, die in US-Archiven lagern und über die damaligen Arbeitszentren in der Bundesrepublik Auskunft geben. Die Dokumentation entstand nach dreijähriger Recherchearbeit, die Anlass zur Neubewertung der Kulturszene im Nachkriegseuropa gibt.