Aus der Welt der Medien - über Pressefreiheit, Repression, Manipulation und andere Tendenzen

"Wer steckt hinter Facebook? Wer profitiert von dieser Datensammlung?"
Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann zur Verleihung des BigBrotherAward 2011 an Facebook - 10.4.2011

Der Bielefelder FoeBuD e.V. hat am 1. April 2011 das "soziale Netzwerk" Facebook mit dem BigBrotherAward ausgezeichnet und fragt: "Wer steckt eigentlich hinter Facebook? Wer profitiert von dieser Datensammlung?"

Als einer der großen Facebook-Investoren wird in der Laudatio die Firma Greylock Partners genannt [1] [2] [3] [4]. "Greylocks Senior-Gesellschafter Howard Cox pflegt seit Jahrzehnten beste Kontakte zum Pentagon [dem US-Verteidigungsministerium] und... ist im Aufsichtsrat von In-Q-Tel." [1]



Banner auf der Startseite der In-Q-Tel-website: "In-Q-Tel ermittelt, adaptiert und liefert innovative Technologie-Lösungen, um den Auftrag der CIA und der breiteren US-Geheimdienst-Community zu unterstützen." [5]

Wer oder was ist In-Q-Tel? "In-Q-Tel ist laut eigener Webseite eine Risikokapitalfirma des [US-Geheimdienstes] CIA, eigens gegründet, um Entwicklung von Technologien zu unterstützen, die für Geheimdienste interessant sein könnten." [1] [5]

Facebook-Vorstandsmitglied "Peter Thiel ist Hedgefonds-Manager und mit der Gründung des Internet-Bezahlsystems PayPal reich geworden, das er für eineinhalb Milliarden an Ebay verkauft hat... Peter Thiel ist radikal-konservativ und zugleich libertär, mag Ronald Reagan und Steueroasen und unterstützt die [rechts-reaktionäre] Tea Party Bewegung in den USA. Und er hat eine enge Verbindung zu der rechten Internet-Plattform TheVanguard." [1] [6] [7]

Facebook-Vorstandsmitglied "Jim Breyer von der Risikokapital-Firma 'Accel Partners' ist... Vorsitzender des amerikanischen Branchenverbandes der Risikokapitalfirmen, der National Venture Capital Association. Sein Vorgänger in diesem Verband war Gilman Louie, der von dort direkt zum CIA gewechselt hat und die Firma In-Q-Tel gegründet hat." [1] Die 'Financial Times Deutschland' schreibt über Breyer am 4.1.2011 wie folgt: "Bevor er ins Facebook-Board einzog saß Breyer im Aufsichtsrat der National Venture Capital Association, die aus zahlreichen ehemaligen Managern von In-Q-Tel besteht - der offiziellen Investmentfirma des US-Geheimdienstes CIA." [8]

The Guardian am 14.1.2008: "Das US-Verteidigungsministerium und die CIA lieben Technologie, weil sie das Spionieren einfacher macht... Facebook ist eine Art verlängerter Arm des imperialistischen Programms der USA verwoben mit einem gewaltigen Informationssammlungswerkzeug... Es ist schier mega-genial." [9]

Nun ist es aber so, daß der geheimdienstliche Datenfluß keine Einbahnstraße ist. Geheimdienste haben nicht nur die Funktion des Spionierens zum Zwecke der Informationssammlung, sondern auch die des Verbreitens von Informationen zum Zwecke der Desinformation und der Manipulation der Adressaten. Daten werden gesammelt, um mit ihnen zu operieren. So ist es auch mit Facebook. Facebook ist ein Instrument der Informationssammlung als auch der Beeinflussung.

Michel Chossudovsky beschreibt, wie in Ägypten mehrere von den USA finanzierte zivilgesellschaftliche Gruppen den Protest auf Twitter und Facebook angeführt haben [10]. U.a. zitiert er 'Voice of America' vom 25.1.2011: "Aktivisten der ägyptischen Kifaya (Genug)-Bewegung – eine Koalition von Regierungsgegnern – und die Jugendbewegung 6. April organisierten die Proteste auf Facebook und Twitter..." [11] Chossudovsky: "Die Kifaya-Bewegung, die 2004 eine der ersten gegen das Mubarak-Regime gerichteten Aktionen organisierte, wird von dem amerikanischen Internationalen Zentrum für gewaltlose Konfliktlösung unterstützt, das wiederum mit Freedom House verknüpft ist. Freedom House selbst hat die Facebook- und Twitter-Blogs im Nahen Osten und Nordafrika gefördert und trainiert..." Freedom House ist bekannt für seine Verbindungen zur CIA - so Chossudovsky.

Und im Iran ging es 2009 in Zusammenhang mit den iranischen Präsidentschaftswahlen darum, mittels Desinformation - insbesondere durch die vorschnelle und falsche Behauptung vom Wahlbetrug - Protest, Revolte und letztlich Umsturz zu provozieren. Thierry Meyssan schreibt: "...iranische Bürger [wurden] per Internet zum Chatten bei Facebook oder Twitter Feeds ausgewählt oder angeworben. Sie erhielten Informationen – wahre oder erfundene (immer per SMS)... Diese anonymen Meldungen verbreiteten Nachrichten über Schußwechsel und zahlreiche Todesfälle... Meldungen, die Mord und Totschlag beschreiben, Polizeiüberfälle auf Wohnungen etc. wurden von Leuten verschickt, die weder zu identifizieren noch zu lokalisieren sind. Gleichzeitig mobilisiert die CIA mit neuen Methoden anti-iranische Militante in den USA und Großbritannien, um das Chaos anzuheizen... Es ist unmöglich herauszufinden, ob sie von einem Zeugen der Demonstrationen in Teheran oder von CIA-Agenten... gesendet wurde... Das Ziel ist, immer mehr Verwirrung zu schaffen und die Iraner dazu aufzustacheln, sich gegenseitig zu bekämpfen." [12]

Die Frage ist, ob die Rechnung aufgeht. In Ägypten ist es nicht ausgeschlossen, daß die Bewegung den Kräften mit Steuerungsabsicht entgleitet und eine ungewollte, den Einfluß der USA gefährdende Richtung einschlägt. Und im Iran ist das Ziel des Umsturzes trotz massiver Manipulationsversuche bisher nicht erreicht worden. Generell ist zu hoffen, daß es gelingt, eine breite Öffentlichkeit über den Charakter und die Gefahren von Werkzeugen wie Facebook aufzuklären und ihnen damit ihre Wirksamkeit zu nehmen. Die Verleihung des BigBrotherAward ist ein wichtiger Schritt dahin.



Fußnoten:

[1] Laudatio von Rena Tangens zur BigBrother-Preisverleihung an Facebook (siehe Anhang)
www.bigbrotherawards.de/2011/.comm1

[2] Greylock über seinen "Advisory Partner" Howard Cox
Howard joined Greylock in 1971 after two years in the Office of the Secretary of Defense (Systems Analysis). He is a graduate of Princeton University, Columbia Law School and the Harvard Business School, and he is a former Chairman of the National Venture Capital Association. Howard, along with Greylock's founding partners, received the Harvard Business School Award for Alumni Achievement in 2003.
Howard currently serves on the boards of Stryker, In-Q-Tel, and Secretary of Defense Business Board. He is a trustee of various Fidelity Mutual Funds. Some of the boards he previously served on include the Boston Globe, American Medical Systems, AMISYS (acquired by McKessonHBOC), APPEX (acquired by EDS), Arbor (acquired by Extendicare), BMR Financial Group, Checkfree, Cogito Data Systems, Compdent (acquired by APPS), Execucom, HPR (acquired by McKessonHBOC), ISSCO (acquired by Computer Associates), Lunar (acquired by GE), Multimate, Rehab Systems (acquired by Novacare), Share Development (acquired by United Healthcare), United Publishers (acquired by NYNEX), VHA Long Term Care (acquired by ServiceMaster), and Vincam (acquired by ADP). He also led Greylock's investments in OTG Software (acquired by Legato), Meditech and Promega.
www.greylock.com/team/team/4/

[3] "Facebook Secures $25M Investment" - Greylock-Meldung vom 19.4.2006
www.greylock.com/news_events/portfolio_news/442/

[4] bloomberg.com am 1.3.2011 über Greylock Partners
Greylock Boosts Latest Fund to $1 Billion After Groupon
www.bloomberg.com/news/2011-03-01/
greylock-boosts-latest-fund-to-1-billion-as-it-seeks-mature-tech-startups.html


[5] Motto von In-Q-Tel (im Kopf der Startseite der In-Q-Tel-website):
„In-Q-Tel identifies, adapts, and delivers innovative technology solutions to support the missions of the Central Intelligence Agency and the broader U.S. intelligence community.“
www.iqt.org/

[6] FAZ am 15.11.2010 über Peter Thiel
www.faz.net/s/RubBFDAEF9E008C4455AB74719564EB6CC2/
Doc~E59E7E6A522EE401A959BF0F70CCE14C2~ATpl~Ecommon~Scontent.html


[7] Handelsblatt am 5.1.2011 über Peter Thiel
www.handelsblatt.com/unternehmen/management/koepfe/der-facebook-milliardaer/3755266.html

[8] Das sind Facebooks Geldgeber
FTD am 04.01.2011 über Peter Thiel und Jim Breyer
Peter Thiel
Der Frankfurter hat als Erster Geld in Facebook gesteckt. Der Mitbegründer des Online-Bezahldienstes Paypal stieg im September 2004 mit 500.000 Dollar ein. 2005 und 2006 legte er nach. Verschiedenen Angaben zufolge hielt Thiel - der auch im Verwaltungsrat sitzt - im vergangenen Jahr sieben Prozent. Damit ist er nach Gründer Mark Zuckerberg zweitgrößter Aktionär. Dessen Anteil liegt bei 24 Prozent.
Jim Breyer
Über sein Venture-Capital-Unternehmen Accel Partners investierte der Amerikaner 2005 mehr als 12 Mio. Dollar bei Facebook. Außerdem sicherte er sich mit eigenem Geld ein privates Prozent. Bevor er ins Facebook-Board einzog saß Breyer im Aufsichtsrat der National Venture Capital Association, die aus zahlreichen ehemaligen Managern von In-Q-Tel besteht - der offiziellen Investmentfirma des US-Geheimdienstes CIA.
www.ftd.de/it-medien/medien-internet/:wetten-auf-den-boersengang-das-sind-facebooks-geldgeber/50211102.html

[9] "With friends like these ..."
Artikel von Tom Hodgkinson in 'The Guardian', 14.1.2008
"Facebook has 59 million users - and 2 million new ones join each week. But you won't catch Tom Hodgkinson volunteering his personal information - not now that he knows the politics of the people behind the social networking site..."
www.guardian.co.uk/technology/2008/jan/14/facebook

[10] Michel Chossudovsky, 28.01.2011
Die Protestbewegung in Ägypten: 'Diktatoren' diktieren nicht, sie folgen Befehlen
www.arbeiterfotografie.com/nordafrika/index-nordafrika-0004.html

[11] Voice of America, 25.01.2011
Middle East - Egypt Police Disperse Anti-Mubarak Protesters
www.voanews.com/english/news/middle-east/Tunisia-style-Rallies-Planned-in-Egypt-114540164.html

[12] Meldung im Iran-Tagebuch vom 7.7.2009
Thierry Meyssan über Methoden der Destablisierung mittels Mobiltelefonen
www.arbeiterfotografie.com/iran/index-iran-0000.html



Anhang

Kurztext zur Preisverleihung an Facebook

Der BigBrotherAward 2011 in der Kategorie "Kommunikation" geht an die Facebook Deutschland GmbH für die gezielte Ausforschung von Menschen und ihrer persönlichen Beziehungen hinter der netten Fassade eines vorgeblichen Gratisangebots. Die gesammelten Daten speichert Facebook in den USA – Zugriff für Geheimdienste möglich, Löschen nicht vorgesehen. Per „Freundefinder“ und "Handy-App" eignet sich Facebook Telefonnummern und Mailadressen aus den Adressbüchern der Nutzer an. Der "Gefällt-mir"-Button auf fremden Webangeboten verpetzt auch ohne Anklicken alle Besucher der Seite an Facebook. Mit Facebook wuchert eine Art zentrale „Gated Community“ im Netz, in der Menschen auf Schritt und Tritt beobachtet werden. Hier herrscht die Willkür eines Konzerns und der verdient mit systematischen Datenschutzverstößen Milliarden.

Quelle: http://www.bigbrotherawards.de/2011

Laudatio zur Preisverleihung an Facebook (Laudatorin: Rena Tangens)

Der BigBrotherAward 2011 in der Kategorie „Kommunikation“ geht an eine „Gated Community“.

Wissen Sie, was eine Gated Community ist? Eine umzäunte, sichere Wohnanlage. Zutritt nur für Bewohner. Bisher waren die eher in den USA, Südafrika und Brasilien zu finden, doch inzwischen gibt es sie auch in Deutschland. Hohe Mauern, Sichtschutz, bewachte Eingänge, und dahinter Wohnhäuser, Gärten, Planschbecken, Schaukeln, Partys und gute Nachbarschaft. Hier leben die, deren Job schon anstrengend genug ist, und die sich nicht um alles selber kümmern wollen; Menschen, die gesellig sind und es sich einfach gut gehen lassen wollen. Was zögern Sie – ziehen Sie ein!

Klar, am Tor ist ein Wachdienst. Auf dem gesamten Gelände ist ein ausgefeiltes Monitoring installiert: Videoüberwachung mit Gesichtserkennung, Infrarotbewegungsmelder, GPS und RFID-Scanner. Begründet wird das weniger mit der Sicherheit, sondern vor allem dem Service und der Bequemlichkeit der Bewohner. Die Anlage besteht aus „smarten“ Häusern, also welche, die stets wissen, wann man in welchem Zimmer ist, die Licht und Heizung passend regulieren.

Es gibt ein eigenes Kommunikationssystem auf dem Gelände, alles gratis. Wer braucht da schon noch die Post? Die Nachrichten werden übrigens elektronisch gescannt und analysiert. Nicht nur die Verbindungsdaten, also wer-mit-wem, sondern auch die Inhalte. Die Betreibergesellschaft berechnet regelmäßig einen „Happiness“-Index durch die Analyse der verschickten Nachrichten und weiß so, wann die Menschen glücklich sind und kann damit das Angebot für ein modernes Wohnerlebnis in der Community optimieren.

Treffen mit Freunden sind einfach, weil alle in der Nähe sind. Und es laufen so viele Parties – von denen würden Sie wahrscheinlich gar nicht erfahren, wenn Sie nicht vor Ort wären. Es ist ein bisschen wie Cluburlaub hier. Der Service wird laufend verbessert: Die Läden in der Nachbarschaft lesen Ihnen Ihre Wünschen von den Augen ab. Auch wenn Sie mal außerhalb des Geländes unterwegs sind, ist man dort informiert über Sie und Ihre Vorlieben.

Als Sie hier neu waren, fanden Sie das mit dem Zaun und der Dauerüberwachung einen etwas unangenehmen Gedanken – aber schließlich sind Ihre Freunde auch alle hier, also was soll's.

Anfangs durfte man an den Fenstern noch Gardinen aufhängen. Doch in letzter Zeit kommt häufiger mal ohne Ankündigung der Renovierungsservice der Community vorbei – ist ja toll, dass die hier immer alles modernisieren – aber leider fehlt danach meistens die eine oder andere Gardine oder auch mal eine Tür. Und es ist ein ziemlich umständlich, die von der Verwaltung zurückzubekommen.

Aber ist ja halb so wild – schließlich ist man hier ja auch nicht eingezogen, um sich zu verstecken. „Sehen und gesehen werden“, ist das Motto.

Das Angebot hier zu wohnen, kann man eigentlich gar nicht ausschlagen, denn: Die Wohnungen sind mietfrei! Wow! Kurz haben Sie sich mal gefragt, wie die Betreiber das wohl finanzieren? Ach, egal.

Dann gab es Zeitungsartikel über Geheimdienstkontakte der Betreibergesellschaft. Aber das sind bestimmt nur Verschwörungstheorien. Und es gibt andere Berichte über den finanziellen und politischen Hintergrund der Betreiber (amerikanische Hedgefonds, Steueroasen-Fans und Anhänger der rechts-reaktionären Tea Party). Aber das kann ja gar nicht sein – es leben so viele fortschrittliche, politisch aktive Leute hier – die wären doch dann nicht hier.

Letztens haben Sie allerdings etwas Befremdliches gehört: Freunde von Ihnen wollten aus der Wohnanlage wieder ausziehen. Und merkten dann, dass sie ihre Möbel nicht mitnehmen können. Die gehören jetzt nämlich der Betreibergesellschaft. Und eine Umzugsfirma, die Auszugswilligen LKWs anbot, soll auf Unterlassung verklagt worden sein.

Sie glauben, das alles sei absurd? – Das finden wir auch!

Nur, dieses Szenario ist zu großen Teilen Realität – allerdings nicht in einer Wohnanlage, sondern im Internet. Und das ist unser BigBrotherAward-Preisträger: Facebook!

Facebook, das nette „soziale“ Netzwerk, lässt George Orwells „Big Brother“ blass vor Neid werden. Hier wächst eine „Gated Community“ globalen Ausmaßes heran. Eine abgeschlossene Gesellschaft, in der ein Konzern die Regeln macht. Eine Datenkrake mit unendlichem Appetit – und die Leute begeben sich freiwillig in ihre Fangarme und füttern sie.

Die Fakten: Facebook sammelt alles an Daten, was sie bekommen können. Nicht nur Name, Adresse, Profilbild, Telefon, Handynummer, Fotos, Texte, Statusupdates, Aufenthaltsort, Nachrichten an Freunde, besuchte Webseiten und und und...

Facebook beruft sich auf die Zustimmung der Nutzer, denn es steht alles in den Geschäftsbedingungen. Doch wer liest vor Einrichtung seines Facebook-Zugangs tatsächlich die Geschäftsbedingungen und Datenschutzerläuterung? Der Text umfasst rund 50.000 Zeichen (das ist mehr als die amerikanische Verfassung) und ist juristisch und technisch ziemlich komplex. Die Textmenge ist keineswegs ein Hinweis darauf, dass Facebook Datenschutz wichtig wäre, sondern vielmehr ein klassischer Fall, wo heikle Fakten in der puren Textmenge versteckt werden.

Die Datenschutzvoreinstellungen ändert Facebook immer wieder und ohne Ankündigung. Dabei sind sie seit 2005 in puncto Datenschutz ständig schlechter geworden. Facebook macht das Freigeben von privater Information zum Standard – wer seine Informationen schützen und nur bestimmten Menschen zugänglich machen will, muss viel Aufwand treiben, um alle Stellen zu finden, wo ein Häkchen gesetzt oder eine Option abgeschaltet werden muss. Wer sich nicht kümmert, wird zum offenen Buch.

Doch selbst die Nutzerinnen und Nutzer, die sich die Mühe machen, die Standardeinstellungen zu ändern und alles auf privat einzustellen, schließen damit zwar ihre Lehrer, Eltern und Personalchefs aus, haben aber doch letztlich die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Denn Facebook selbst sieht alles.

Die Evolution der Standardeinstellungen von 2005 bis 2010 hat der Programmierer Matt McKeon sehr anschaulich in einer Grafik [1] als eine Art Blume dargestellt. Jedes Blütenblatt entspricht einer Sorte Facebook-Inhalt (Name, Profilbild, Geschlecht, Freunde, Networks, Nachrichten auf der Pinnwand, Fotos und was als „Gefällt mir“ angeklickt wurde). Weiß bedeutet „privat“, blau „öffentlich sichtbar“. Je weiter vom Zentrum entfernt, desto mehr Menschen können diese Inhalte sehen. Faszinierend, wie sich die Blume nach und nach blau einfärbt... Die privaten Details der Nutzer werden ständig öffentlicher, ganz ohne ihr Zutun, einfach weil Facebook es so will.

Und es gibt immer wieder neue Features: Mit dem „Freundefinder“ werden Nutzer verleitet, ihre kompletten E-Mail-Adressbücher in Facebook zu importieren. Die E-Mail-Adressen wurden von Facebook genutzt, um Menschen, die noch nicht bei Facebook sind, „einzuladen“. Und wer auf seinem iPhone mit der Facebook-App den Freundefinder einsetzt, ahnt nicht, dass Facebook auf diesem Wege sämtliche auf dem iPhone gespeicherten Kontaktdaten an sich zieht: Namen, Telefonnummern, E-Mail-Adressen, Postanschriften, dazugehörige Fotos und Geburtstagsdaten bis hin zu persönlichen Notizen. Die Tore sind in beide Richtungen weit offen: Mit der „Instant Personalization“ („Umgehende Personalisierung“) können mit Facebook verbundene andere Webseiten auf persönliche Daten aus dem Facebook-Profil zugreifen. Übrigens die Textanalyse für den Happiness-Index bei Facebook gibt es wirklich. Und dann gibt es auch noch die „Places“-(Orte)-Funktion, mit der Nutzerinnen ihren Freundinnen – und natürlich Facebook – mitteilen können, wo sie gerade sind. Noch Fragen?

Die Betreiber von Facebook testen ständig, wie weit sie gehen können und scheren sich dabei weder um Gesetze, noch um das, was Nutzerinnen erwarten oder was sonst im Netz üblich ist. Erst wenn massiver Protest von den Nutzerinnen und Nutzern kommt, gibt es ein bisschen Bewegung. Aber die Taktik ist klar: 3 Schritte vor, und wenn es Stress gibt, geht man 1/2 Schritt zurück.

„Gated Communities“ zeichnen sich auch dadurch aus, dass der Staat innerhalb der Mauern quasi keinen Einfluss mehr auf die Regeln hat, die innen herrschen. Facebook sind europäische Datenschutzrichtlinien und deutsche Gesetze herzlich egal. Ilse Aigner, unserer Verbraucherschutzministerin, ist dazu leider nichts anderes eingefallen, als unter lautem Presserummel ihre eigene Präsenz auf Facebook zu kündigen. Eine Kapitulation. Eine Ministerin sollte doch vielmehr ihre Regierungsverantwortung wahrnehmen und im Sinne der Verbraucher tätig werden: 1. Ein Quasi-Monopol braucht Regulierung, und die muss durchgesetzt werden; 2. Um Wettbewerb zu fördern, brauchen wir Forschung zu dezentralen Alternativen; und 3. Brauchen wir eine Entwicklung von neuen Geschäftsmodellen für soziale Netze, die nicht auf der Vermarktung von Daten beruhen.

Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) hat im November 2010 Klage gegen Facebook erhoben, weil die AGB, die Datenschutzbestimmungen und der Freundefinder gegen Verbraucher- und Datenschutzrecht verstoßen. Die Landesdatenschutzbeauftragten von Hamburg und Schleswig-Holstein haben sich ebenfalls eingeschaltet. Ein Mini-Erfolg ist da, der Freundefinder soll verändert werden. Da ist er, der 1/2 Schritt zurück.

Ein wichtiger Punkt wird bei den ganzen Datenschutz-Details zumeist ausgeblendet. Nämlich die Frage: Wer steckt eigentlich hinter Facebook? Wer profitiert von dieser Datensammlung? Natürlich Mark Zuckerberg, der ist bekannt. Aber da gibt es zwei andere Leute im Vorstand von Facebook, die genauere Betrachtung verdient haben: Peter Thiel und Jim Breyer. Beide haben sich mit Risikokapital in die Firma eingekauft.

Peter Thiel ist Hedgefonds-Manager und mit der Gründung des Internet-Bezahlsystems PayPal reich geworden, das er für eineinhalb Milliarden an Ebay verkauft hat. Peter Thiel ging es bei PayPal nicht nur um seinen Profit, sondern auch darum, eine von den staatlichen Banken unabhängige Weltwährung zu schaffen und damit die Steuererhebung zu umgehen. Peter Thiel ist radikal-konservativ und zugleich libertär, mag Ronald Reagan und Steueroasen und unterstützt die Tea Party Bewegung in den USA. Und er hat eine enge Verbindung zu der rechten Internet-Plattform „TheVanguard“.

Jim Breyer von der Risikokapital-Firma „Accel Partners“ ist nicht irgendjemand, sondern Vorsitzender des amerikanischen Branchenverbandes der Risikokapitalfirmen, der National Venture Capital Association. Sein Vorgänger in diesem Verband war Gilman Louie, der von dort direkt zum CIA gewechselt hat und die Firma „In-Q-Tel“ gegründet hat. Das ist noch eine relativ schwache Verbindung – doch klar ist, man kennt sich. Der Firmenname kommt übrigens von „In-Tel“ wie „Intelligence“ (das englische Wort für Geheimdienst) und „Q“ wie der geniale Erfinder bei James Bond. In-Q-Tel ist laut eigener Webseite [2] eine Risikokapitalfirma des CIA, eigens gegründet, um Entwicklung von Technologien zu unterstützen, die für Geheimdienste interessant sein könnten.

Interessant für Geheimdienste ist Facebook mit Sicherheit. Denn was könnten sich Agenten Schöneres wünschen, als dass ihnen die Menschen all ihre persönlichen Details, jede Bewegung, private Nachrichten und all ihre persönlichen, beruflichen und politischen Kontakte selbst frei Haus auf einen zentralen Server in den USA liefern?

Doch es geht noch dichter. Der dritte große Facebook-Investor ist die Firma Greylock Partners. Greylocks Senior-Gesellschafter Howard Cox pflegt seit Jahrzehnten beste Kontakte zum Pentagon und – siehe da – ist im Aufsichtsrat von In-Q-Tel.

Das geht über die theoretische Möglichkeit „Das ist in den USA, da könnte der CIA draufgucken“ weit hinaus...

Diese Gated Community, die als netter Cluburlaub daherkommt, sollte uns ernsthaft Sorgen machen. Denn Facebook tut gerade alles, um sich unentbehrlich zu machen. Es will zum Ersatz werden für eigene Webseiten, E-Mail, Mailinglisten und Chat-Foren. 2010 hat sie mit den „Facebook-Credits“ auch eine eigene Währung eingeführt. Facebook eignet sich das Copyright der eingestellten Inhalte an und zensiert kritische Links.

Der genialste Coup seit langem aber ist der „Gefällt mir“- oder „Like“-Button auf fremden Webseiten. Damit können Facebook-Nutzer Webseiten empfehlen. So wird von Facebook auch registriert, was ihre Nutzer außerhalb so treiben, für was sie sich interessieren. Ein komplettes Psycho- und Sozialprofil entsteht. Und zwar auch ohne, dass überhaupt auf den „Gefällt-mir“-Button geklickt wurde! Wer sich z.B. als Facebook-Nutzer eine Seite von bild.de einfach nur anschaut, bekommt von Facebook quasi im Vorbeigehen gleich zwei persistente Cookies auf seinem Rechner gepackt. Späteres Wiedererkennen garantiert. Leute, die keine Facebook-Nutzer sind, erhalten ebenfalls ein Cookie auf ihre Rechner gesetzt, das sie zwar nicht namentlich, aber per IP-Adresse erkennen kann.

Facebook will nicht weniger als der zentrale Anlaufpunkt im Netz für möglichst viele Menschen werden und damit die Kommunikation bei sich monopolisieren, kontrollieren und ihr seine Regeln aufzudrücken.

Auch Tim Berners-Lee, der Erfinder des World Wide Web, ist überzeugt, dass soziale Netzwerke, die die Daten ihrer Nutzer horten und abgeschirmt vom Rest des Netzes ein Datenmonopol errichten, eine der größten Gefahren für das freie Internet sind. Wir möchten ergänzen: auch eine Gefahr für den Rechtsstaat.

Warum vertrauen so viele Menschen sich mit so vielen persönliche Details Facebook an? Firmengründer Mark Zuckerberg hat es vor Jahren in einem Chat auf den Punkt gebracht: „They trust me – dumb fucks.“ – Sie vertrauen mir, die Idioten.

Die BigBrotherAward-Seite wird übrigens keinen Facebook-Like-Button bekommen. Denn wer solche „Freunde“ hat, braucht keine Feinde mehr.

Herzlichen Glückwunsch zum BigBrotherAward, Facebook.

[1] The Evolution of Privacy on Facebook. Eine interaktive Darstellung zur Entwicklung des Datenschutzes auf Facebook. http://mattmckeon.com/facebook-privacy/

[2] „In-Q-Tel identifies, adapts, and delivers innovative technology solutions to support the missions of the Central Intelligence Agency and the broader U.S. intelligence community.“ http://www.iqt.org/

Quellen / zum Weiterlesen empfohlen:

Sascha Adamek: Die facebook-Falle – Wie das soziale Netzwerk unser Leben verkauft. Heyne-Verlag, 2011
http://www.randomhouse.de/book/edition.jsp?edi=361574

Jakob Steinschaden: Phänomen Facebook: Wie eine Webseite unser Leben auf den Kopf stellt. Ueberreuter, 2010.
http://www.ueberreuter.at/index.php?isbn=800074884&phd=&content=123&value

NDR Medienmagazin ZAPP: Facebook: Umgang mit Daten
http://www.ardmediathek.de/ard/servlet/content/3517136?documentId=6680644

WDR Monitor: Im Visier von Facebook – Das Ende der Privatheit
http://www.wdr.de/tv/monitor/sendungen/2010/0520/facebook.php5

Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv): Surfer haben Rechte
http://www.surfer-haben-rechte.de/cps/rde/xchg/ls_digitalerechte/hs.xsl/10.htm

vzbv reicht Klage gegen Facebook ein – „Freundefinder“, AGB und Datenschutz verstoßen gegen Verbraucherrecht
http://www.vzbv.de/go/presse/1423/index.html

spiegel.de: Web-Erfinder warnt vor Facebooks Datenmonopol. Von Konrad Lischka
http://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,730259,00.html

spiegel.de: Experten-Analyse – Hier provoziert Facebook Datenschutzärger. Von Konrad Lischka.
http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/0,1518,693509-3,00.html

guardian.co.uk: With friends like these … Von Tom Hodgkinson
http://www.guardian.co.uk/technology/2008/jan/14/facebook

Telepolis: Der etwas andere Philanthrop. Von Peter Mühlbauer
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33555/1.html

The Register: Facebook founder called trusting users dumb f*cks. By Andrew Orlowski.
http://www.theregister.co.uk/2010/05/14/facebook_trust_dumb/

zeit.de: Hinter jedem Freund steckt eine Werbung. Von Luca di Blasi
http://www.zeit.de/2011/11/Facebook-Profilseiten-Facenapping

Linktipps: Wie lösche ich einen Facebook-Account? Christiane Schulzki-Haddouti im kooptech-Blog.
http://blog.kooptech.de/2010/05/linktipps-wie-loesche-ich-einen-facebook-account/

The Evolution of Privacy on Facebook. Eine interaktive Darstellung zur Entwicklung des Datenschutzes auf Facebook.
http://mattmckeon.com/facebook-privacy/

Web 2.0 suicidemachine – click here to sign out forever.
http://www.suicidemachine.org/

Openbook. Openbook lets you search public Facebook updates using Facebook's own search service.
http://youropenbook.org/about.html

c't 1/11. Datenschutz-Fallrückzieher – Ein Netizen entdeckt den Wunsch nach Privatsphäre. Von Marcus Lindemann, Jan Schneider.
http://www.heise.de/ct/artikel/Datenschutz-Fallrueckzieher-1153312.html

Gaydar – Facebook friendship exposes sexual orientation. By Carter Jernigan and Behram F.T. Mistree. First Monday, Volume 14, Number 10, 5 October 2009
http://www.uic.edu/htbin/cgiwrap/bin/ojs/index.php/fm/article/view/2611/2302

To Join or Not to Join: The Illusion of Privacy in Social Networks with Mixed Public and Private User Pro?les. By Elena Zheleva and Lise Getoor.
http://linqs.cs.umd.edu/basilic/web/Publications/2009/zheleva:www09/

Facebook's Privacy Trainwreck: Exposure, Invasion, and Social Convergence. By danah boyd, 2008.
http://www.danah.org/papers/FacebookPrivacyTrainwreck.pdf

Quelle: http://www.bigbrotherawards.de/2011/.comm1