Sozialraub - Analysen zur Politik des globalen Kapitals |
Aufruf zum Protest gegen die nachhaltige Beschädigung des Sozialsystems Aus einer Information von ver.di (Bereich Einzel- und Versandhandel) Können Sie auf 3000 Euro verzichten? Allein eine solche Frage wird jeden Verkäufer, jeden Kassiererin – je nach Temperament – erschrecken oder wütend machen. Doch diejenigen, die gerade dabei sind, das Tarif- und Sozialsystem in Deutschland nachhaltig zu beschädigen, fragen nicht und die direkt Betroffenen fragen sie schon gar nicht. Beispiel Tarifverträge Geht es nach CDU/CSU, FDP und Teilen der SPD werden Tarifverträge demnächst zu Makulatur. Denn sie wollen mit aller Macht gesetzliche „Öffnungsklauseln“. Im Klartext: Löhne, Gehälter und Arbeitsbedingungen sollen mit Zustimmung der Belegschaft bzw. des Betriebsrates nach unten gedrückt werden können. Der Arbeitgeber muss nur behaupten, dies sichere Jobs. Es braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, was dann passiert. Entscheiden sollen künftig Belegschaften und deren Betriebsräte, die erpressbar sind und die zu keinen Arbeitskampfmaßnahmen aufrufen dürfen. Damit droht eine schnell drehende Abwärtsspirale bei Einkommen und Arbeitsbedingungen auch im Handel. Alles was die Beschäftigten in vielen Tarifrunden u.a. bei der Länge des Urlaubs, bei Sonderzahlungen und Zulagen, bei der wöchentlichen Arbeitszeit und bei der Altersvorsorge an Verbesserungen erreicht haben, überschreitet – gemessen an den gesetzlichen Standards – eindeutig einen Geldwert von 3000 Euro pro Kopf und Jahr. Tarifautonomie bedeutet, dass Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände gleiche Mindestbedingungen für die Beschäftigten und damit gleiche Konkurrenzbedingungen für die Unternehmen einer Branche vereinbaren. Die Tarifautonomie ist in Gefahr. Die schon verabschiedeten und noch geplanten Maßnahmen der „Agenda 2010“ reißen zusätzlich tiefe Löcher in die Budgets der Erwerbstätigen und Arbeitslosen. Geschwächt wird damit auch die Kaufkraft, Kunden bleiben weg. Wie dieses „Reformwerk“ die Wirtschaft und damit auch den Handel beleben soll, bleibt Geheimnis seiner Erfinder. Beispiel Rente Schluss sein soll auch mit der Rente ab 65, statt dessen wird die Rente ab 67 propagiert, obwohl alle wissen, dass die Arbeitgeber keine so alten Beschäftigten in den Unternehmen wollen. Also lautet das neue Ziel: Wenn wir euch schon vorher entlassen, wollen wir Euch wenigstens die Rente kürzen und eure Beitragsanteile an der Pflegeversicherung und Krankenkasse erhöhen. Beispiel Gesundheitsreform Patienten und Versicherte werden richtig zur Kasse gebeten. Nach DGB-Berechnungen muss eine Durchschnittsfamilie mit einem Haushaltseinkommen von rund 2500 Euro im Monat künftig bis zu 600 Euro im Jahr an Zuzahlungen leisten. So werden Krankengeld (ab 2006) und Zahnersatz (ab 2005) aus der zu gleichen Teilen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern finanzierten Krankenversicherung ausgegliedert. Beschäftigte müssen sich separat versichern, Arbeitgeber werden von ihrem Anteil befreit. Allein beim Krankengeld sparen die Unternehmen jährlich rund 3,8 Milliarden Euro. Begründung: Die Lohnnebenkosten sollen sinken. Anders gesagt: Die Beschäftigten sollen statt der bisherigen paritätischen Beitragszahlung künftig größere Anteile oder die Kosten alleine tragen. Aber das ist noch nicht alles. Aus dem Leistungskatalog der Krankenversicherungen werden u.a. die Brillenzuschüsse, das Sterbe- bzw. Entbindungsgeld und Fahrtkosten bei ambulanter Behandlung gestrichen. Beim ersten Hausarztbesuch pro Quartal werden künftig 10 Euro fällig, ebenso beim Facharztbesuch ohne Überweisung. Kontroll- und Vorsorgetermine sind ausgenommen. Für alle verschreibungspflichtigen Arzneimittel bewegen sich die Zuzahlungen zwischen 5 und 10 Euro. Ebenfalls 10 Euro fallen pro Krankenhaustag an (maximal 28 Tage). Beispiel Gemeindefinanzen Wie sollen in den Städten Kindertagesstätten, Schulen, Schwimmbäder, Bibliotheken, Straßen u.v.m künftig instand gehalten oder gar neu gebaut werden? Die von der Regierung geplante Gemeindefinanzreform entlastet Kapitalgesellschaften um weitere 3 Milliarden Euro, statt sie in die Pflicht für die Finanzierung der öffentlichen Infrastruktur zu nehmen. Auch hier: Die Arbeitnehmer sollen mit höheren Kosten zur Kasse gebeten werden. Beispiel Arbeitslosenunterstützung Neu ist das Arbeitslosengeld II. Für 1,4 Millionen bzw. Zweidrittel der Erwerbslosen, die heute Arbeitslosenhilfe beziehen, bedeutet das eine enorme finanzielle Schlechterstellung. Rechnet man die Angehörigen mit, werden nach Angaben des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes 3 Millionen Menschen in die Armut gestürzt. Wer Arbeitslosengeld II erhält, muss in großem Umfang ersparte Altersreserven aufbrauchen und jede angebotene Arbeit auch bei niedrigster Entlohnung annehmen. Und: Die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld soll von derzeit 32 auf 18 Monate für über 55jährige bzw. für Jüngere auf 12 Monate gesenkt werden. Was also tun? Beteiligen Sie sich an Demonstrationen und Kundgebungen der Gewerkschaften, gehen Sie gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen zu Parteiveranstaltungen und den Bürgersprechstunden der Bundestagsabgeordneten oder rufen Sie dort an. Nutzen Sie auch die Möglichkeit der Leserbriefe an Ihre Zeitung, um auf die Probleme aufmerksam zu machen. Und nutzen Sie die Betriebsversammlung, um Ihrem Arbeitgeber die Meinung zu sagen. Bei den Arbeitgebern wurden die Ideen des sozialen Kahlschlags geboren, die jetzt umgesetzt werden. Impressum: ver.di Bundesfachbereich Handel, Franziska Wiethold (V.i.S.d.P.), Potsdamer Platz 10, 10758 Berlin |