Sozialraub - Analysen zur Politik des globalen Kapitals

Der Reichstag und die EU-Verfassung
Betrachtungen zur Berichterstattung am 13. Mai 2005 über die Vorgänge vor und im Reichstag, 18.5.2005

Der Reichstag im 'Kölner Stadt-Anzeiger'Der Reichstag auf der Titelseite des 'Kölner Stadt-Anzeiger' vom 13.5.2005

Bildunterschrift: "Aufbruch nach Europa: Mitglieder der 'Jungen Europäischen Föderalisten' demonstrieren vor dem Reichstagsgebäude in Berlin für die EU-Verfassung. Während der Deutsche Bundestag gestern mit großer Mehrheit zustimmte, bleibt das Ja der Franzosen fraglich."
Der Reichstag in 'junge Welt'Der Reichstag auf der Titelseite der 'jungen Welt' vom 13.5.2005

Bildunterschrift: "Mitglieder der globalisierungskritischen Bewegung ATTAC gestern vor dem Reichstag"

(Text von Jürgen Elsässer: siehe unten)

Es sind zwei Welten, die hier aufeinander treffen. In der Tageszeitung 'junge Welt' gibt es Protest, im 'Kölner Stadt-Anzeiger' Zustimmung. Der 'Kölner Stadt-Anzeiger' - ein herausgegriffenes Beispiel für den vom großen Kapital gesteuerten Mainstream - ignoriert den Protest gegen die EU-Verfassung. Markus Decker kommentiert in der Ausgabe vom 13.5.2005: "Zu hoffen bleibt, dass die Abstimmung in Deutschland positiv auf den Wackelkandidaten Frankreich ausstrahlt. Die Mehrheit der Franzosen lehnt die Verfassung bisher ab. Ein Nein Frankreichs jedoch wäre eine europapolitische Katastrophe." Und in seinem 'Nachrichtenartikel' läßt er zum Abschluß den CDU-Europaexperten sagen, die Verfassung erfülle ihn mit Stolz. Die Gegenargumente, beispielsweise die von attac bleiben den Lesern verborgen.

Attac

Was Attac zu sagen hat, müssen wir bei attac nachlesen. In einer Stellungnahme von Attac Deutschland zum 'Entwurf des Vertrags über eine Verfassung für Europa', verabschiedet auf dem Attac-Ratschlag in Essen, 7.-9.5.2004, lesen wir:

"Attac Deutschland widersetzt sich dem Verfassungsentwurf und ruft alle Menschen dazu auf, das Inkrafttreten dieses Vertragwerkes zu verhindern. Dieser Entwurf erfüllt nicht die grundlegenden Anforderungen an eine demokratische Verfassung. Er schreibt konsequent und alternativlos das neoliberale Wirtschaftsmodell mit unbeschränktem Wettbewerb in den EU-Staaten fest. Daran hat die deutsche Bundesregierung maßgeblichen Anteil.

Auch das grundlegende Demokratiedefizit der EU wird mit dem neuen Vertrag nicht beseitigt. Auf EU-Ebene werden immer mehr und weitreichendere Entscheidungen ohne ausreichende demokratische Kontrolle getroffen. Ist eine Entscheidung erst mal gefallen, ist es fast unmöglich, sie wieder umzukehren. Der Entwurf gefährdet die in den Mitgliedsstaaten über Jahrhunderte erkämpften sozialen und demokratischen Grundrechte, statt sie ausreichend zu schützen. Während die "unternehmerische Freiheit" ein vertraglich geschütztes Grundrecht werden soll (II-16), das durch die Bestimmungen zum Binnenmarkt und zur Handelspolitik fast überall Vorrang genießt, gibt es keinen gleichwertigen Schutz für die sozialen Rechte der in der EU lebenden Menschen. Oft werden weitreichende Liberalisierungsvorschriften im Handel mit Gütern und Dienstleistungen in allen Lebensbereichen, insbesondere der öffentlichen Versorgungseinrichtungen, mit qualifizierten Mehrheiten herbeigeführt. Die Festlegung von sozialen und steuerlichen Mindeststandards wird durch die zumeist geforderte Einstimmigkeit faktisch blockiert.

Die komplette Verlagerung der Kompetenz in Fragen der Handels- und Investitionspolitik auf EU-Ebene führt zu einer weiteren Entdemokratisierung der Handelspolitik (III-217). Schon heute stehen die Verhandlungspositionen der EU in der Welthandelsorganisation WTO und in bilateralen Handelsabkommen im direkten Widerspruch zu den Anrechten vieler Menschen im Norden und Süden auf gerechte Teilhabe am erwirtschafteten Wohlstand. Wenn die nationalen Parlamente die Handelsverträge in Zukunft nicht mehr ratifizieren müssen, hat die Zivilgesellschaft noch weniger Möglichkeiten, diese Politiken mitzugestalten.

Die gemeinsamen außenpolitischen Handlungsfelder werden den Zielen der Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik untergeordnet. Mit dem Vertrag über eine Verfassung werden die Mitgliedsstaaten darauf verpflichtet, ihre "militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern" (I-40). Durch die vertragliche Festschreibung der bereits beschlossenen Rüstungsagentur wächst in der EU ein militärisch-industrieller Komplex heran, der sich zudem einer demokratischen Kontrolle weitgehend entzieht.

Der Name 'Verfassung für Europa' ist eine Anmaßung gegenüber allen Menschen in Europa, die nicht in einem Mitgliedsstaat der EU leben. Nach wie vor würde es mit dieser Verfassung keine hinreichenden Rechte für alle in den Grenzen der EU lebenden MigrantInnen geben. Die Festung EU wird ausgebaut."

Quelle: www.attac.de/eu-ag

Tobias Pflüger

Auch Tobias Pflüger, für die PDS im Europa-Parlament, kommt im 'Kölner Stadt-Anzeiger' nicht zu Wort. Dabei hätte auch er Entscheidendes zu vermitteln. Bei den Protesten gegen die so genannte Sicherheitskonferenz am 12.2.2005 in München sagt er:

"Genau das ist es: Die westlichen Staaten wollen den anderen Staaten ihr Denken aufdrücken. Und das hat mit dem zu tun, was Horst Köhler heute gesagt hat..: 'Handel ist die beste Hilfe zur Selbsthilfe.' Nein, Handel ist nicht die beste Hilfe zur Selbsthilfe, Handel ist die 'Hilfe' für die deutschen Unternehmen, die sich gestern bei der so genannten 'Finanzierungskonferenz Nordafrika Mittelost' getroffen haben. Es war und ist richtig, daß wir sowohl gegen diese Finanzierungskonferenz als auch gegen die so genannte Sicherheitskonferenz demonstriert haben. Es sind zwei Seiten derselben Medaille: Neoliberale und neoimperiale Politik...

In diesem EU-Verfassungsvertrag wird eine Aufrüstungsverpflichtung festgeschrieben, werden Kampfeinsätze festgeschrieben, es werden festgeschrieben so genannte 'Entwaffnungsmissionen', diese 'Entwaffnungsmissionen' sind wohl nichts anderes, als das was wir im Irak erlebt haben. Und es werden festgeschrieben eine Rüstungsagentur und so genannte 'strukturelle Zusammenarbeit'. Und mit dieser 'strukturellen Zusammenarbeit' passiert nichts anderes als die Festschreibung des Kerneuropakonzepts. Es dominieren die Großen innerhalb der EU: Deutschland, Frankreich und Großbritannien."

Quelle: www.imi-online.de

Portal gegen den friedensgefährdenden, neoliberalen, antisozialen und imperialen EU-Verfassungsentwurf

Eine systematische Zusammenfassung der entscheidenden Mängel im Verfassungsentwurf wie die folgende finden wir kaum irgendwo:

"Wir lehnen diesen EU-Verfassungsvertrag ab,
  • weil mit ihm die - auch von ökonomischen Interessen geleitete - Militarisierung der Europäischen Union, bis hin zur globalen Kriegsführungsfähigkeit vorangetrieben wird;
  • weil mit ihm der Neoliberalismus Verfassungsrang erhält und die EU auf den 'Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb' verpflichtet wird. Soziale Belange und Beschäftigungspolitik werden der Wettbewerbspolitik untergeordnet. Die Finanzmittel für die Um- und Aufrüstung der EU-Armeen sowie für neue Kriege werden auch durch den Abbau von Sozialsystemen in den EU-Mitgliedstaaten erkauft;
  • weil eine antisoziale Ordnung in der EU festgeschrieben wird, indem die sozialen und gewerkschaftlichen Grundrechte in der EU-Grundrechtecharta durch beigefügte Erläuterungen noch weiter ausgehöhlt und ihrer Wirksamkeit beraubt werden;
  • weil imperiale Machtpolitik nach außen und innen festgeschrieben wird, bei Abstimmungen im Europäischen Rat und im Ministerrat gibt es ein Übergewicht der großen Länder vor allem Deutschlands.
Friedensgefährdend - Mit dem EU-Verfassungsvertrag wird die Militarisierung der Europäischen Union bis hin zur globalen Kriegsführungsfähigkeit vorangetrieben. Der Verfassungsvertrag soll der EU die 'auf militärische Mittel gestützte Fähigkeit zu Operationen' (Art I-41 Abs. 1) sichern. Eine zusätzliche kerneuropäische Militarisierung wird mit der 'ständigen strukturierten Zusammenarbeit' (III-312) etabliert. Aufrüstung wird Verfassungsgebot: "Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern" (Art. I-41 Abs. 3) . Die Petersbergaufgaben werden um noch weiter reichende militärische Interventionsmöglichkeiten erweitet bis hin zu 'Abrüstungskriegen' (III-309) . Eine 'Agentur für die Bereiche Entwicklung der Verteidigungsfähigkeiten, Forschung, Beschaffung und Rüstung' wird die Aufrüstung der Mitgliedstaaten überwachen und zudem 'zweckdienliche Maßnahmen zur Stärkung der industriellen und technologischen Basis des Verteidigungssektors' durchsetzen (III-311) .

Neoliberal - Die Prinzipien des Neoliberalismus erhalten Verfassungsrang. In den allgemeinen 'Zielen der Union' ist zwar beschönigend die Rede von einer 'in hohem Maße wettbewerbsfähigen sozialen Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt, sowie ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität.' (I-3) Im konkreten Politikteil wird dann aber Klartext geredet von der Verpflichtung auf den 'Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb.' (III-177) Beschäftigungspolitik wird den 'Grundzügen der Wirtschaftspolitik' untergeordnet (III-206, 179) , die geprägt sind durch die einseitige Orientierung auf das 'vorrangige' Ziel der 'Preisstabilität' (I-30, III-177, 185) und durch den in Verfassungsrang erhobenen "Stabilitätspakt" (III-184), In der Steuerpolitik sollen nur die indirekten Steuern harmonisiert werden (III-171) . Nicht vorgesehen ist die längst überfällige Angleichung direkter Steuern, besonders der Unternehmenssteuern, womit der ruinöse 'Abwärtswettbewerb' bei den staatlichen Einnahmen zu Lasten der Finanzierung öffentlicher Aufgaben aufzuhalten wäre. Die einzelstaatlich gewährleisteten Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge, auch die beschworene Sicherung der 'kulturellen Vielfalt', einschließlich der künstlerischen (I-3), werden ganz im Sinne der WTO relativiert (III-166) und bleiben der Beihilfekontrolle unterworfen.

Antisozial - Die Aufnahme der Grundrechtecharta in den Verfassungsvertrag stellt zwar prinzipiell einen geringen Fortschritt bei der Verankerung demokratischer und sozialer Grundrechte dar. Zugleich wurde aber insgesamt eine Schieflage zuungunsten der sozialen Grundrechte verankert, die sich ausdrückt in der fehlenden Sozialbindung des Eigentums in Art II-77 und der verfassungsrechtlichen Hervorhebung der 'unternehmerischen Freiheit' (II-76) . Anstelle eines 'Rechts auf Arbeit' wird nur das 'Recht zu arbeiten' gewährt (II-75) , auch andere soziale Grundrechte fanden keine Aufnahme oder nur eine Aufnahme in stark beschnittener Form. Durch die Herabstufung von Grundrechten zu "Grundsätzen" in den sogenannten Schlussbestimmungen jedoch (II-112 Abs. 5) und die nachträgliche Aufnahme eines Verweises auf aktualisierte Erläuterungen der Präsidien des Grundrechtekonvents und des Verfassungskonvents (II-112 Abs. 7) sind die sozialen und gewerkschaftlichen Grundrechte auf EU-Ebene noch weiter ausgehöhlt und de facto ihrer Wirksamkeit beraubt worden. Im Ergebnis kann beispielsweise weiterhin nicht von einem EU-Streikrecht oder einem grenzüberschreitenden Streikrecht die Rede sein, während nationalstaatliche Regelungen zur Aussperrung geschützt werden (II-88) .

Imperial - Die, neu in den Verfassungsvertrag aufgenommene, maßgebliche Berücksichtigung der jeweiligen Bevölkerungsgröße bei Abstimmungen im Europäischen Rat und im Ministerrat führt zu einem Übergewicht der großen Länder - und vor allem Deutschlands als bevölkerungsreichstem Land. Die EU setzt damit ihren traditionellen Charakter eines Zusammenschlusses gleicher Staaten aufs Spiel. Nach außen fördert die EU erklärtermaßen 'ihre Werte und Interessen' (I-3 Abs. 4). Zugleich will sie sich per Verfassungsvertrag ermächtigen militärisch global zu intervenieren, um diese Interessen 'mit geeigneten Mitteln' (I-3 Abs. 5) durchzusetzen. Statt ihre Politiken auf eine Einhaltung der UN-Charta und des Völkerrechts sowie die Ächtung von Angriffskriegen zu verpflichten, wird im Verfassungsvertrag bewusst Interpretationsspielraum für globale Kriegseinsätze gelassen. So wird lediglich die 'Wahrung der Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen' (I-3 Abs. 4) erklärt und auch die interventionistisch interpretierbare Formulierung der 'Weiterentwicklung des Völkerrechts' (I-3 Abs. 4) gebraucht."

Quelle: www.eu-verfassung.org

Friedensbewegung

Und auch die Kritik, die die Friedensbewegung beim Ostermarsch Rheinland 2005 am EU-Verfassungsvertrag formuliert, findet in den etablierten Medien keine nennenswerte Berücksichtigung:
  • dass er eine Aufrüstungsverpflichtung für alle Mitgliedsstaaten enthält (Art. I-41,3) und damit bei seiner Ratifizierung die erste 'Verfassung' der gesamten Geschichte vorliegen würde, die eine fortschreitende Militarisierung festschreibt;

  • dass er ein Amt für die Umsetzung der Aufrüstung vorsieht (Art. I-41,3), aber keine eigenständige Einrichtung & Budgets für intelligente zivile Konfliktbearbeitung und gewaltfreie Krisenprävention (ohne militärischen Kontext);

  • dass er ein militärisches Kerneuropa vorsieht (III-312), wozu Deutschland gehören wird;

  • dass er Kampfeinsätze der EU-Truppen ohne jede territoriale Begrenzung möglich macht und sogar sogenannte 'Abrüstungskriege' (II-309,1);

  • dass er Entscheidungen über Militärinterventionen bzw. Kriegsführung dem Ministerrat der EU überträgt (Art. I-41, 4+5) und damit unsere gewählten Volksvertreter außen vorstehen;

  • dass er den Parlamenten Entscheidungsbefugnis und Kontrolle über Außenpolitik und Militäreinsätze entzieht - stattdessen nur ein vages Anfrage- und Informationsrecht der Europa-Parlaments nennt (Art. I-41,8 und II-304,2);

  • dass er nicht einmal eine Kontrolle der militärischen Außenpolitik des EU-Ministerrats durch den Europäischen Gerichtshof ermöglicht (Art. III-376);

  • dass er sich (im Gegensatz zu Artikel 26 des Grundgesetzes) nirgends im Klartext zur völkerrechtlichen Ächtung des Angriffskrieges bekennt und stattdessen vieldeutig von einer 'Weiterentwicklung des Völkerrechts' spricht.
Jürgen Elsässer

Anregend anders ist auch die Betrachtungsweise von Jürgen Elsässer. Er schreibt am 13.5.2005 in der Tageszeitung 'junge Welt' in dem Artikel mit der Überschrift 'Ermächtigungsgesetz - Reichstag stimmt mit 569 gegen 23 Stimmen der Selbstentmachtung zu. Die demokratisch nicht kontrollierbaren EU-Spitzengremien stehen künftig über dem deutschen Parlament':

"Zum zweiten Mal in der deutschen Geschichte hat ein deutsches Parlament seiner Selbstentmachtung zugestimmt. Doch welch ein Unterschied zur Premiere vom 23. März 1933: Während damals, kurz nach Hitlers Vereidigung als Reichskanzler, die Zustimmung einer Zweidrittelmehrheit der Abgeordneten nur durch die vorherige Ausschaltung der kommunistischen und zahlreicher sozialdemokratischer Parlamentsmitglieder gesichert werden konnte, ergaben sich die Volksvertreter diesmal ohne erkennbaren äußeren Druck in ihr Schicksal. Kein Feldmarschall Göring war, wie damals, notwendig, um den Saal mit einem Feldstecher zu kontrollieren und so potentielle Abweichler einzuschüchtern. Diesmal waren die Sitzreihen im Plenum gähnend leer, die Reden meist routiniert bis lustlos. Die freiwillige Gleichschaltung kennzeichnet den neuen Totalitarismus, der gleichermaßen postfaschistisch wie postdemokratisch ist.

Als Brandredner fiel nur der Außenminister Joseph Fischer (Bündnisgrüne) auf. Doch so sehr seine schneidende Rhetorik formal an das Goebbelssche Vorbild erinnerte, so diametral standen seine Inhalte dem Nazivorbild entgegen: Nicht im Namen der Nation, sondern im Namen ihrer Aufhebung begründete er die Zustimmung zur EU-Verfassung. »Der Nationalismus ist der Krieg«, paraphrasierte er zustimmend den ehemaligen französischen Präsidenten François Mitterrand. Folgerichtig sollen die wichtigsten parlamentarischen Kompetenzen nicht, wie 1933, auf die nationale Exekutive, sondern auf die supranationale Exekutive der EU übergehen.

Doch ähnlich dem sogenannten Dritten Reich ist auch dem nachfolgenden Imperium, das man als Heiliges Römisches Reich Europäischer Nation bezeichnen könnte, die Expansion eingeschrieben. Fischer: »Wer ein friedliches Europa will, muß Ja sagen zum erweiterten Europa, und wer Ja sagt zum erweiterten Europa, muß Ja sagen zur Verfassung.« Bedeutet das nicht im Umkehrschluß: Wenn ein Land nicht Ja sagt zum Drang nach Osten und deshalb bei der EU-Abstimmung mit Nein votiert, muß es mit Krieg rechnen? Laut EU-Verfassung - so die Artikel I-41,1 und V - kann der EU-Ministerrat künftig jedenfalls weltweite Militäreinsätze beschließen, ohne daß der Bundestag etwas mitzuentscheiden hat. Offensichtlich ist das Gegenteil von Fischers Zitatenfledderei richtig: Der Supranationalismus ist der Krieg.

Wie sehr sich die Schöne Neue Welt von der alten unterscheidet, zeigt schließlich die Tatsache, daß die große Mehrheit der Gegenstimmen von der CDU/CSU kam. Deren politischer Vorgänger, das katholische Zentrum, hatte 1933 noch geschlossen mit der NSDAP gestimmt. Bemerkenswert ist, daß der Wortführer der Unionsdissidenten, Peter Gauweiler (CSU), militarismuskritische Argumente aufnahm, die bisher vor allem von links kamen: Die EU-Verfassung wandele »endgültig den vom Grundgesetz vorgegebenen und geregelten Verteidigungsauftrag der Bundeswehr in eine breitere und allgemeinere Vorgabe um, die auch militärische Krisenreaktionseinsätze ermöglichen soll, deren Vereinbarkeit mit dem Gewaltverbot der Vereinten Nationen bekanntlich höchst umstritten ist.«

Neben den Unionsabweichlern stimmten auch die zwei PDS-Abgeordneten Gesine Lötzsch und Petra Pau sowie der parteilose Martin Hohmann mit Nein. Die Sozialdemokraten Hermann Scheer und Ernst Ulrich von Weizsäcker enthielten sich. Der Bannerträger des grünen Pazifismus, Christian Ströbele, folgte dagegen, wie meistens, der Fischer-Linie."

Quelle: www.jungewelt.de