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Foto aus dem 'Spiegel'
vom 14. Dezember 1992,
Seite 150

Original-Bildunterschrift: 'US-Soldat, Somalis in Mogadischu: Mit Jubel empfangen'

Foto: Norbert Schiller, action press (Angabe im 'Spiegel' nicht vorhanden)

Kira Sohmen, Lichtbild-Galerie, Worpswede:
'Mit Jubel empfangen' - wie absurd und dem grotesken Theater nahe, wenn man in die überwiegend skeptischen Kindergesichter blickt. Die Atmosphäre ist von Mißtrauen geprägt. Man spürt die Widersprüchlichkeit der Erscheinung. Man spürt das Unstimmige, den Unterschied. Die Kinder in ihrer lumpigen Bekleidung, unser Wissen um die ursprüngliche Armut des Landes und das Wissen um den Bürgerkrieg in Somalia seit vielen Jahren lassen die Haltung des US-Soldaten übertrieben und unglaubwürdig wirken. Seine Person ist unzertrennlich mit Attributen wie Digitalarmbanduhr, Schnellfeuergewehr und dem modernsten Kampfanzug verbunden. Sie stehen als Liebeserklärung an das Kriegsgeschehen allgemein. Bringt dieser US-Soldat wirklich Befreiung? Ist es nicht eher ein Prestige-Gewinn für die USA und ihre verlogene Politik? Verlogen, weil sie sich einerseits in 'Befreiung' kleidet und andererseits ihren Militärschrott billig recycelt und neue Kriegstechnik von der Welt unkommentiert und nicht sanktioniert erprobt. Das vor uns liegende Pressefoto transportiert viele Klischees, auf die ich nicht näher eingehe. Viel bezeichnender ist das Fehlen einer kompromißlosen Präzision in der Bildaussage, die dieses Pressefoto vor Manipulation schützen könnte. Mag der stete Zwang zur Schnelligkeit, zur dauernden Innovation, all die Beschwerlichkeiten eines Reporter-Alltags eine Erklärung für die unsägliche Flut von schlechten Pressefotos sein, entbindet er doch nicht von der Verpflichtung, das Dargestellte zu analysieren, um seinem Inhalt und seiner Wahrheit gerecht zu werden. Einen ästhetisch formalen Aufbau zu beschreiben halte ich angesichts der Thematik für mehr als unpassend. Das Foto ist von seiner visuellen Wirkung, ähnlich wie die Werbung funktioniert, auf unbewußte emotionale Reaktionen beim Betrachter gerichtet. 'Der Retter und das Opfer'. Pathetisch inszeniert gleitet jegliche Bildaussage ab. Ein knieender und lächelnder Soldat. Ist das das neueste Ergebnis amerikanischer 'Exerzier-Konditionierung' für humanitäre Einsätze? An dieser Stelle sei an Vietnam erinnert. Der Soldat als Killermaschine...
Es ist heute der 28.05.95, 17:12 Uhr. Mit einem Ohr höre ich eine Vorankündigung des RTL-TV. 'Wir berichten unter anderem über ein Erdbeben in Rußland, bei dem mindestens 2.500 Menschen ums Leben gekommen sind. Und dazu viel Sport'.

Heinz Humbach, Journalist, Köln:
Ein bewaffneter amerikanischer GI - eine Schar somalischer Jungen - ein zaghafter Händedruck. Wird hier ein Befreier 'mit Jubel empfangen'? Die meisten Jungen beobachten den Händedruck zurückhaltend und zweifelnd. Sie scheinen keine allzugroßen Erwartungen an die neuen Herren ihres Landes zu haben. Oder ahnen sie schon das unrühmliche Ende dieser 'Befreiungsaktion': die mit modernsten Waffen ausgerüstete internationale Streitmacht zieht wieder ab - die Auseinandersetzungen um Macht und Pfründe zwischen den herrschenden Clans gehen weiter - Hunger und Elend für die somalische Bevölkerung bleiben. Einige hundert Millionen Dollar haben die führenden kapitalistischen Länder für diese Erprobung ihrer schnellen Einsatztruppen ausgegeben. Wieviele Kinder in den unterentwickelten Ländern hätten mit diesem Geld vor dem Hungertod gerettet werden können?
Das Foto löst in mir widersprüchliche Erinnerungen und Gedanken aus. Mir fällt meine eigene Befreiung ein. Im Frühjahr 1945 saß ich zusammen mit vielen Freunden aus unserer Widerstandsgruppe als Häftling der Kölner Gestapo in einem Zuchthaus in Hessen. Jeder Tag konnte eine Entscheidung für uns bringen: Todesurteil oder Befreiung. Eines Morgens ratterten Panzer durch den kleinen Ort, im Morgengrauen erkannten wir sie als amerikanische. Bald danach wurden unsere Zellen aufgeschlossen, vor uns standen amerikanische GIs, wir waren frei. Amerikanische Soldaten als Befreier - dieses Erlebnis werde ich nie vergessen.
Aber die Erinnerung wird überlagert von anderen Erfahrungen. Wenige Monate später, im August 1945 fallen die ersten Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki. Hunderttausende Menschen, Frauen, Männer, Kinder, sterben qualvoll in dem von amerikanischen Soldaten ausgelösten Inferno.
Ein anderes Bild fällt mir ein: ein brennendes Dorf in Vietnam, bewaffnete amerikanische GIs, flüchtende vietnamesische Kinder, darunter ein nacktes Mädchen - die Augen vor Entsetzen weit aufgerissen, um Hilfe schreiend. Amerikanische Soldaten als mordende Eroberer - auch dieses Bild werde ich nie vergessen.
Bilder können helfen, die Realitäten unserer Welt besser zu erkennen, sie können aber auch den Erkenntnisprozeß behindern und die Wahrheit vernebeln. Dieses Foto soll offensichtlich die Realität verbergen und Erkenntnisse verhindern. Es dient der Propaganda. Wir sollen nicht erkennen, daß Kriege um wirtschaftliche Interessen geführt werden. Nach der verteidigungspolitischen Richtlinie der Bundeswehr von 1992 soll diese überall in der Welt eingesetzt werden können - zur 'Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs auf Märkte und Rohstoffe in aller Welt'. Zukünftige militärische Einsätze der Bundeswehr sollen nicht auf unseren Widerstand stoßen, sondern als 'friedensstiftende Maßnahmen' hingenommen und unterstützt werden.
Doch in den Gesichtern der somalischen Kinder spiegelt sich eine andere Erkenntnis: Hunger, Not und Elend in den unterentwickelten Ländern sind nicht mit hochgerüsteten schnellen Eingreiftruppen zu überwinden. Notwendig ist vielmehr eine Politik, die von der Gleichberechtigung aller Völker ausgeht und auf friedliche Lösungen setzt. Nur wenn wir bereit sind, dafür unsere finanziellen, materiellen und geistigen Reserven zu mobilisieren, haben wir eine Chane.

Josef Csallos, Auslandsbildredakteur des 'Spiegel':
Es handelt sich um ein Foto von 'action press'. Entstanden ist es in der Euphorie der Amerikaner, Frieden stiften zu können - vermutlich in dem gleichen Geist wie z.B. die Landung der Amerikaner in Mogadischu, die bekannterweise für die Presse wiederholt, also nachträglich nochmals inszeniert worden ist. Ich gehe davon aus, daß es in dieser Serie entstanden ist. Man muß dazu sagen, daß diese ganze Aktion im Vorfeld des US-Präsidentschaftswahlkampfes stattfand, und das wiederum bedeutet, daß es indirekt der Image-Verbesserung der Bush-Administration diente. Im Spiegel erschien das Foto im Kontext einer Reportage vor Ort, in der man diesen Sachverhalt beschrieben hat.
Die Bildunterschrift besteht - spiegelüblich zweiteilig - aus der Sachzeile bzw. Definitionszeile kombiniert mit einem Zitat aus der Reportage. Die Textzitate werden im entsprechenden schreibenden Ressort ausgewählt. Der Jubel, von dem in der Bildunterschrift die Rede ist, findet im Bild tatsächlich nicht statt. Man könnte die Bildunterschrift durch ein Fragezeichen relativieren, aber Sätze mit Fragezeichen sind im journalistischen Codex nicht von Seriosität geprägt. In der deutschen Sprache existiert nun einmal kein Schriftzeichen für Ironie, so daß die Bildunterschriften häufig wie bei diesem Beispiel funktionieren.
Ich denke, die Auswahl fiel hierbei zugunsten dieses Bildes aus, weil es diesen fast propagandistischen Eindruck vermittelt. Die Wirkung in der Kombination mit der Bildunterschrift ist nach meinem Empfinden eine durchweg ironische. Auch ist dieses Bild nicht alleine zu betrachten, sondern es steht im Kontext einer Titelgeschichte, wobei auf der vorhergehenden Doppelseite der ganze Gegensatz zwischen Invasoren und den Einwohnern dargestellt wird.