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Walter Heilig
Walter Ulbricht und Otto Grotewohl in der Sowjetunion, 1955
(nach Abschluß des Staatsvertrags zwischen der DDR und der UdSSR)

Ingrid Bahß, Köln, ehemals DDR:
Auf den ersten flüchtigen Blick ein fraglos langweiliges Propaganda-Foto. Der zweite Blick: Die Welt ist zu einer freundlich-gefährlichen Menschen-Landschaft gemacht, in der Fragen keine Chance haben. Infragestellungen werden wegretuschiert.
Der Staatsknipser kommt, die Münder werden breitgezogen - ohne Ausnahme. Naja, nun darf man nicht vergessen, daß die Fotografierten ja nicht irgendwelche Leute von der Straße sind, so auf Zufall gebaut. Nein, der Fotograf läßt die Gefahr eines Zufalls auf keinen Fall zu, das könnte ja auch ein Reinfall werden. Er vergewissert sich im Vorfeld des Fotografierens der verordneten Freude, die in sein Objektiv hinüberschwappen wird. Verordnete Freude, verordnetes Strahlen kommt mir entgegen. Natürlich bin ich vorbelastet, wenn ich solche Fotos sehe. Sie waren meine tägliche Kost bis 1983. Ich konnte mich ihrem Genuß kaum entziehen, weil es eben nur dieses eine Gericht gab. Ich komme um meine eigenen Erfahrungen nicht umhin. Erfahrungen wie: Hoher Staatsbesuch kommt. Wir Grundschüler, wir Oberschüler, wir Studenten, wir Werktätige und die Rentner werden verpflichtet, an der Straße zu stehen. Straßenzüge sind drapiert, der Blick in die Schmutzecken ist verstellt. Freude ist auch hier verordnet. Betrug auf der ganzen Linie. Entzug drohte dem, der nicht pariert und wie ein Idiot fähnchenwinkend auf die Bonzen lauert. Wir haben den Zauber geliefert. Maul breit, im Herzen kalt.
Dieses Foto erreicht viel in mir: es kommt eine alte Wut hoch. Gefühle erzeugen - mehr kann ein Foto nicht erreichen. Dieses Fotos erfüllt so seinen Zweck. Doch nicht im Sinne des Fotografen.
Wie sicher diese Politikergesichter uns ansehen! Und ich glaube, sie waren sich wirklich ihrer Sache sicher. Der Abschluß des Staatsvertrages zwischen der UdSSR und der DDR war gut und richtig für sie. Für uns Bürger bedeutete er die totale Sowjetisierung in allen wesentlichen Bereichen des Bildungswesens, der Kultur, der Wirtschaft. Ein fremdes Modell wurde uns übergestülpt.
Man könnte fast in Gefahr geraten, diesem Foto zu vertrauen. Wo doch so viele nette Leute freundlichen Gemütes mit so netten Politikern Arm in Arm, ja fast familiär, aneinandergekettet sind. So, als stünde ihnen ein Abstand nicht zu. Die Blicke sind mit Lächeln in Richtung Kamera verpflichtet, als hätte es den Klappenschlag dazu gegeben. Wer Fragen und Bedenken hatte, waren es auch nur vorsichtige, wurde zum Foto nicht zugelassen, wurde zu keinem Foto zugelassen, durfte keine Öffentlichkeit herstellen mit seinen Fragen.
Ein aggressives Foto mit einer aufgesetzten Verpflichtung zur Freundlichkeit. Der Macher in dieser Situation ist der Fotograf. Er weiß, mit welchen Mitteln man ein Bild so arrangieren kann, daß der Betrachterblick so oder so manipuliert werden kann. Auf ihn muß sich der Machtapparat verlassen können. Er muß die innersten Geheimnisse der momentanen politischen Bestrebungen kennen und diese ins Bild umsetzen. Er ist mächtig und ein Spieler. Ich stelle mir das Gesicht des Fotografen vor, wie er darum bemüht ist, den Zeitpunkt nicht zu überschreiten, wo das Lachen kalt wird und sich nur mit letzter Kraft am Leben hält. Wo das Lachen seinen Zauber und seine Wärme verliert und erstarrt. Hat er diesen kurzen Augenblick noch rechtzeitig abgepaßt? Kurze Zeit später drehen sich die Leute, die vom Parteisekretär zum Foto zusammengerufen wurden, um. Der Arbeitsalltag geht weiter. Was hier im Foto so schön zufällig wirken soll, ist gestelltes Theater. Der Fotograf im Bündnis mit der Macht.
Je mehr ich das Foto in mich aufnehme, je bedrohlicher wirkt es auf mich. Es nimmt mir jede Chance zu einem individuellen Gedanken, einem Gefühl, einer Frage. Es sagt mir, wenn Du nicht so willst, wie ich will, drücke ich Dich an die Wand.

Gerd Deumlich, Redakteur der 'Marxistischen Blätter', Essen:
Da hatten, scheint's, welche gut Lachen. Ich weiß nicht, wie sich der Autor eine solche Szene froher Menschen vor die Kamera zauberte. Denn dem Bild ist die Inszenierung anzusehen. Dabei mußte vermutlich den dazugesellten Sowjetmenschen nicht nur gespielte Fröhlichkeit abverlangt werden. Hatten sie etwa keinen Grund zu echter Freude über gute Freunde unter den Deutschen?
Und die DDR-Politiker mochten tatsächlich Erleichterung empfunden haben. Hatte doch der große Bruder Moskau der DDR volle staatliche Souveränität und dauernden Bestand zugesagt. Immerhin gab es die DDR schon sechs Jahre.
Auch wenn man sofort daran denken muß, wie 45 Jahre später diese DDR von einem Kremlchef dem Duzfreund aus Bonn 'zurückgegeben' wurde - das Foto weckt schon noch Interesse für eine Station unserer Nachkriegsgeschichte.
Allein die abgelichteten Akteure! Grotewohl, der ehemalige Sozialdemokrat, jüngst noch ins Gerede gekommen wegen der 'Zwangsvereinigung' von SPD und KPD. Gab es nicht auch einen Zwang der Geschichte zur Einheit in der Arbeiterbewegung? Doch das ist noch Vorgeschichte der Weichenstellung von 1955. Erst recht Ulbricht. Dem gestandenen Altkommunisten und spröden Sachsen war hierzulande längst das negativste Image verpaßt worden. Der Spitzbart. Sebastian Haffner nannte ihn einen der erfolgreichsten deutschen Politiker. Nicht zuletzt wegen der von dem optimistischen Foto illustrierten Station 1955.
Bis dahin war es nicht sicher, ob Deutschland nur noch in zwei gegeneinanderstehenden Staaten denkbar bleiben sollte. Der mit dem Kalten Krieg beginnenden Separierung Westdeutschlands für die 'westliche Gemeinschaft' setzte die Sowjetunion das Bemühen um ein einheitliches, neutrales, in ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem eingebundenes Deutschland entgegen. Das geschah zwar im Einvernehmen mit der DDR-Führung, aber die Realisierung hätte die DDR wieder zur Disposition gestellt.
Doch die Westmächte verfuhren so, wie sich Dr. Adenauer festgelegt hatte: Lieber das halbe Deutschland ganz, als das ganze Deutschland halb. In dem jahrelangen Ringkampf zwischen den ehemaligen Alliierten und den beiden deutschen Staaten gab es auch gewagte Schachzüge. Als Adenauer 1954 die Pariser Verträge unterzeichnete, die der BRD den Einzug in die NATO eröffneten, schlug Grotewohl vor, darüber in ganz Deutschland abzustimmen - NO! Da sagte die Sowjetunion: wenn die NATO so wichtig für die Sicherheit in Europa sein soll, dann treten wir halt in die NATO ein - NO! Der Westen wollte sich durch nichts seine Karten verderben lassen. Da erklärte die Sowjetunion endgültig: die Vereinigung der DDR mit einer NATO-BRD ist undenkbar - so kam es zu diesem Foto. Ein im Grunde wenig aufregendes Foto, in dem erregende Historie steckt. Doch beides hat nur noch Erinnerungswert: die ehemalige DDR gehört zu NATO-Deutschland. Gegenwart, die jedoch auch wieder einmal Geschichte sein wird. Meine ich.

Charles Compère, Foto-Designer, Köln:
Das Dürfte Reichen für ein Nur-Erinnerungs-Abbild eines deutschen Arbeiter- und Bauernstaates der Deutschen Demokratischen Republik. Dieses Abbild, nach Abschluß des Staatsvertrages in der Sowjetunion zwischen der DDR und der UdSSR von 1955 ist so banal, so heiter sinnlos und ohne jede Informationsdichte: Mehrere weibliche wie männliche Zeitgenossen waren irgendwann, irgendwo versammelt - dabei auch der Abbildner. Im Vordergrund links, verhalten lächelnd, ein Mann mit Pathos. Rechts lässig, betont halbstraff, ein Mann, finger-übergreifend, zusätzlich im Arm eine dritte, vermutlich weibliche Hand einer nicht abgebildeten Person.
Was wollte Walter Heilig im harten Anschnitt mitteilen? Eine lächelnde Versammlung? Ein agitatorisches Bild für Gemeinsamkeit? Eine Ideologie, werbend-unter-mauernd?
Politischer Bildjournalismus ist ein hohes Ziel. Wo bleibt die subjektive Sicht, die offizielles Pathos einschmelzende Ansicht, sogenannter wichtiger historischer Augenblicke?! Der Staatsvertrag von 1955 war sicherlich bedeutungsvoll. Dieses Abbild zeigt dies nicht.
Ich erinnere einige Fotos von Walter Heilig mit starker Bildsprache. Zeitgeschichtlich betrachtet birgt dieses Bild der heiteren Gleichheit vom Volk der Bauern und Arbeiter und höchsten Funktionären eine vom Verfasser nicht gewollte Symbolik mit komischer Attitüde.