Medien und Krieg - Die Bilder jubelnder Palästinenser und andere Manipulationen im 'Krieg gegen den Terror'
Krieg um die Köpfe - Die Medien nach den Terroranschlägen
Material aus und zu einer Sendung im WDR-Fernsehen am 24. September 2001

Marion von Haaren: "Frau Beham, dieses Bild ging um die Welt. Es suggerierte, Palästinenser freuen sich über unschuldige Opfer. Was hat es mit diesem Bild auf sich?"

Mit Kuchen geköderte Palästinenserin

Mira Beham: "Dieses Bild wurde am 11. September von allen Fernsehstationen rund um die Welt mehrmals gesendet. Zwei Tage danach gab es die ersten Meldungen, das dieses Bild aus dem Archiv stamme. Daraufhin haben Journalisten recherchiert, sie sind der Quelle gefolgt und bei der Agentur Reuters gelandet. Es wurde festgestellt, dass die Bilder zwar nicht aus dem Archiv stammen, dass sie aber gleichwohl inszeniert sind. Das Kamerateam hat die Frau und die Kinder mit Süßigkeiten gelockt und sie zum Jubeln überredet. Wie sich herausgestellt hat, wußte die Frau überhaupt nicht, warum sie jubeln sollte. Die Bilder gingen an CNN, und CNN hat sie dann weltweit verkauft." (siehe dazu auch 'stern', 20.9.2001, Nr. 39, 2. Ausgabe, S. 204 ff)


"Terroristen haben Amerika den Krieg erklärt."
"Wir befinden uns im Krieg."
US-Präsident George W. Bush


Aus einem verheerenden Terroranschlag wurde in kürzester Zeit ein Krieg gegen die zivilisierte Welt, und aus dem Kampf gegen den Terrorismus ein Feldzug gegen das Böse. Amerika bereitet sich vor auf eine Schlacht. Endgültige Beweise, wer die Verantwortlichen der Anschläge von New York und Washington sind, gibt es bisher keine. Aber dass es einen Kriegseinsatz geben wird, daran zweifelt niemand mehr.

Die Medien bereiten mit vor. Manche preschen vor und titeln schon jetzt den notwendigen Angriff. Berichten Fernsehen und Zeitungen wahrheitsgemäß? Oder werden sie gesteuert und manipulieren selbst? Polis beschäftigt sich mit der Macht der Bilder und der Worte.

"Die Geschichte richtig verkaufen" oder: wie der Krieg in die Köpfe kommt

Seit es Überlieferungen von Kriegen gibt, werden Kriege an zwei Fronten ausgefochten: im Feld und im "Informationsfeld". Information als Waffe, Medien als Schützenhilfe - das ist nicht erst ein Phänomen des 20. Jahrhunderts.

"Es wird nie so viel gelogen wie vor der Wahl, während des Krieges und nach der Jagd", soll bereits Otto von Bismarck gesagt haben. Im Dezember 1991, kurz vor dem medial perfekt inszenierten Golfkrieg, erklärte Colin Powell - heute US-Aussenminister - seine Auffassung vom Einsatz des Fernsehens in Kriegszeiten:

"Wenn Sie alle Truppen in Bewegung gesetzt haben(...), müssen Sie sich aufs Fernsehen konzentrieren. Denn Sie können die Schlacht gewinnen und den Krieg verlieren, wenn Sie die Geschichte nicht richtig verkaufen". (Spiegel 4/95, S.114)

Sich aufs Fernsehen konzentrieren - das heisst, dafür zu sorgen, dass die richtigen Bilder auf den Schirm kommen. Und wenn es diese Bilder nicht gibt, dann muss man sie inszenieren.

Pressestimmen - Der Krieg mit den Worten

"America Under Attack" - so untertitelte CNN seine Dauer-Sondersendung in den ersten Tagen. Später wurde der Titel ausgetauscht gegen "America's New War". Kriegsrhetorik, die in Deutschland sofort übernommen wurde.

Krieg, Angriff, Feind, Bestie - auch die deutschen Medien nannten das Kind gleich beim vermeintlich richtigen Namen. Aus den Titeln deutscher Tageszeitungen an den Tagen nach dem 11. September:

"Angriff auf Amerika" (FAZ am 12.9.)
"Wir werden den Feind besiegen" (Tagesspiegel am 13. 9.)
"Der Terror-Krieg" (Bayernkurier am 13.9.)
"Deutschland in Angst: kommt jetzt Krieg?" (Kölner Express 13.9.)
"Wir sind bei euch!" (Kölner Express, 14.9.)
"Terrorbestie, wir wünschen dir ewige Hölle" (Bild am 14.9.)

Krieg und Medien - Eine Chronik von Carsten Günther

Golfkrieg, 10. Oktober 1990: Vor dem US-Kongreß schildert ein fünfzehnjähriges kuwaitisches Mädchen die Greuel der irakischen Soldaten in ihrer Heimat:

Tochter des kuwaitischen Botschafters in den USA, von der PR-Agentur Hill&Knowlton engagiert, um vor Abgeordneten des US-Kongresses eine der wirkungsvollsten Propaganda-Lügen von den Grausamkeiten der Iraker zu verbreiten

"Ich sah die irakischen Soldaten ins Krankenhaus kommen," erzählt sie. "Sie nahmen Babys aus den Brutkästen, nahmen die Brutkästen mit und ließen die Babys auf dem kalten Fußboden sterben." Die Abgeordneten sind erschüttert. Präsident Bush verweist bei öffentlichen Auftritten immer wieder auf die Brutkastengeschichte. Am 16. Jan. 1991 wird Bagdad bombardiert. Der Beginn des Golfkriegs. Der US-Kongreß hat kurz zuvor Präsident Bush zum Einsatz aller Mittel ermächtigt, nicht zuletzt wegen der Brutkastengeschichte. Doch ein Jahr später ist erwiesen: die Geschichte war frei erfunden - und die angebliche Zeugin die Tochter des kuwaitischen Botschafters in den USA. Eine Pressekampagne der PR-Agentur "Hill and Knowlton", von der kuwaitischen Regierung mit mehr als 10 Mio. Dollar finanziert. Eine Propagandalüge, um die US-Öffentlichkeit für den Krieg am Golf zu mobilisieren.

Es wird nicht die einzige bleiben. Ein ölverklebter Kormoran wird zum Symbol für die naturzerstörende Kriegsführung Saddam Husseins. Doch die Bilder vom Februar 1991 sind in Wirklichkeit nicht in Kuwait, sondern vor der kanadischen Küste gemacht worden.

Bosnien-Krieg Anfang der 90er Jahre: Im Bosnien-Krieg Anfang der 90er Jahre ist die amerikanische PR-Agentur "Ruder Finn" für die bosnische Regierung tätig, ebenso wie für Kroatien und später die Kosovo-Albaner. Indem sie die serbische Führung mit den Nazis gleichsetzt, gelingt es ihr, die internationale Gemeinschaft gegen Belgrad zu mobilisieren.

Tschetschenienkrieg: Gezielte Propaganda auch im zweiten Tschetschenienkrieg. Ministerpräsident Putin verhängt bei Kriegsbeginn 1999 eine strenge Nachrichtenzensur und schwört die russische Bevölkerung auf eine "Anti-Terror-Aktion" ein. Tschetschenen gelten grundsätzlich als "Terroristen und Banditen". Von einem Krieg ist nicht die Rede.

Kosovo-Krieg, März 1999: Die deutsche Kriegsbeteiligung gilt ausschließlich zur Abwehr einer "humanitären Katastrophe". Sofort wird in den Medien der Völkermord an den Kosovo-Albanern beschworen, obwohl dafür bis heute die Beweise fehlen.

O-Ton Scharping: "Es ist eine systematische Ausrottung, die in schrecklicher Weise an das erinnert, was z.B. am Beginn des 2. Weltkrieges und während des 2. Weltkrieges auch in deutschem Namen angerichtet worden ist."

Ähnlich wie im Golfkrieg wird eine saubere Kriegsführung mit chirurgisch-präzisen Eingriffen inszeniert. Als Beweis werden bei den täglichen NATO-Pressekonferenzen regelmäßig Videobilder gezeigt. Ihre Aussagekraft ist gleich null.

Die Bilderfälscher - drei Beispiele

Im Golfkrieg ließen sich Journalisten so offensichtlich hinters Licht führen und instrumentalisieren, dass später eine internationale Debatte über Medien und Krieg ausgelöst wurde. Genützt hat sie nicht viel - auch in den Kriegen danach saß man in den Redaktionen so mancher Propagandalüge auf. Erinnern Sie sich an die Geschichte von den "Brutkasten-Schändern"? Oder an den abgemagerten "Mann im Serben-KZ"? Oder an die "Massaker-Bilder", die ein zutiefst betroffener Verteidigungsminister Scharping zeigte? Alles gelogen.

Die Brutkastenlüge: Zum Symbolbild der Lüge im Golfkrieg wurde 1990 der Auftritt einer 15jährigen Kuwaiterin vor dem Menschenrechtsausschuss des US-Kongresses, die mit tränenerstickter Stimme über angebliche Gräueltaten irakischer Soldaten berichtete - sie seien in ein kuwaitisches Krankenhaus eingedrungen und hätten Babies aus den Brutkästen geworfen. Die Nachricht ging um die Welt, wurde erst ein Jahr später widerrufen - und war komplett erfunden und erlogen: und zwar von einer professionellen PR-Agentur. Die hatte die Tochter des kuwaitischen Botschafters in den USA engagiert und mit ihr den Augenzeugenbericht einstudiert.

Konzentrationslager in Bosnien? In Bosnien wurden 1992 Fernsehbilder aus angeblichen Folter-KZs ausgestrahlt - nicht nur wider besseres Wissen, sondern bewusst gefälscht. Ein bis auf die Knochen abgemagerter Mann mit nacktem Oberkörper hinter Stacheldrahtzaun wurde zum bekanntesten Bild des Krieges: ein britisches Kamerateam hatte die Aufnahmen gemacht, sie dienten lange Zeit als Beweis für die Existenz von Konzentrationslagern in Bosnien. Erst nach dem Krieg wurde die Szene als Fälschung entlarvt.

Scharping und die Wahrheit im Kosovo: ...man erinnere sich an Minister Scharpings Bilderschau über vermeintliche Horrorszenarien. Ein Leichenfundort mit vielen, teilweise übereinanderliegenden Toten, angeblich Folgen eines Massakers an albanischen Zivilisten: diese Aufnahmen zeigte ein sichtlich geschockter Verteidigungsminister im April den Journalisten. Aufnahmen, die, wie sich später herausstellte, einen anderen Hintergrund hatten: die Leichen waren an diesem Ort zusammengetragen worden, stammten von unterschiedlichen Stellen, offenbar handelte es sich nicht um Zivilisten, sondern um Kämpfer der UcK. Dennoch - die Medien nahmen die Bilder auf und trugen sie weiter. Zum Hinterfragen war auch diesmal keine Zeit - und es passte wohl auch nicht in die politische Stimmung. Denn die Horrorbilder halfen gewaltig nach bei der Bereitschaft der Deutschen, die NATO-Aktion gutzuheissen. In der ARD erschien zwei Jahre später eine ausführliche WDR-Dokumentation, die die Hintergründe aufdeckt - als ein Lehrstück moderner Kriegspropaganda made in Germany: "Es begann mit einer Lüge".

Mira Beham, Buchautorin und Expertin für Krisen- und Kriegskommunikation, in der Sendung:

"Solange keine Beweise vorliegen, sollten vor allem Journalisten skeptisch sein. Dass Politiker mit Behauptungen vorpreschen ist natürlich, aber dazu sollten sich Journalisten eher reserviert verhalten.

Dieses Bild (von jubelnden Palästinensern) wurde rund um die Welt gesendet. Zwei Tage danach gab es die ersten Meldungen, das dieses Bild aus dem Archiv stammt. Daraufhin haben Journalisten recherchiert, sie sind der Quelle gefolgt und bei der Agentur Reuters gelandet. Es wurde festgestellt, dass die Bilder zwar nicht aus dem Archiv stammen, aber inszeniert sind. Das Kamerateam hat die Frau und die Kinder mit Süßigkeiten gelockt und sie zum Jubeln überredet. Die Bilder gingen an CNN und CNN hat sie dann weltweit verkauft.

Es ist problematisch und fragwürdig solche Bilder zu zeigen, wenn sie nur einen kleinen Ausschnitt der Wirklichkeit darstellen.

Man muss vorsichtig sein, solange man keine stichhaltige Beweise hat. Es gibt im Augenblick eine psychologische Kriegführung. Dinge von denen wir nichts erfahren werden. Vordergründig gibt es viel Rhetorik und Gesten, die uns verführen und verleiten sollen.

Diese PR Agenturen werden von den Regierungen die sich im Krieg befinden oder auf einen Krieg vorbereiten, engagiert und bezahlt. Sie arbeiten dann in der Form, dass sie Entscheidungsträger mit Informationsmaterial versorgen und Kontakte herstellen zwischen Regierungen und wichtigen Leuten. Diese Leute haben beispielweise gute Kontakte zu amerikanischen Führungskreisen, sowohl politischen und journalistischen und können so Artikel platzieren. Die Agentur, die die bosnische Regierung vertreten hat, hat es geschafft Leitartikel und Kommentare in etablierten Zeitungen zu platzieren.

Der Golfkrieg wurde durch schwerwiegende Manipulation forciert, er dauert im Grunde immer noch an. Er hat 1 Millionen Opfer in Irak gefordert, über die nicht mehr berichtet wird. Da frage ich die Medien: Wie kommt diese Selektion zustande? Gibt es Opfer erster und zweiter Klasse?

Journalisten können sich ganz schwer vor Manipulationen schützen. Das Denken der Menschen soll gewonnen werden. Gewinne ihr Denken und ihre Herzen und Seelen werden folgen, heisst es. Diese Art von Manipulation kann man schwer feststellen, denn gute PR zeichnet sich dadurch aus, dass man nicht merkt, dass man beeinflusst wird. Man kann sich nur durch Skepsis vor Manipulation der einen oder andern Seite schützen."

Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur "Der Tagesspiegel" in der Sendung:

"Diese Szene (der jubelnden Palästinenser) war gestellt, aber das finde ich nicht so wahnsinnig tröstlich, denn an anderen Stellen ist gejubelt worden, und die palästinensische Zensur hat dafür gesorgt, dass diese Bilder nicht in Welt gehen.

Bilder haben eine unglaubliche Wirkung. Wir haben keine Möglichkeiten in einer solchen Situation, gleich festzustellen, ob dieses Bild echt ist. Es gibt die Gefahr, dass man Bildern und Berichten aufsitzt. Trotzdem glaube ich nicht, dass dieses Bild alleine der Beleg dafür ist, dass wir einer diabolischen Maschinerie der Manipulation erlegen sind.

Ich glaube, dass die Bilder, die die Welt erschüttert haben, nicht manipuliert sind.

Ich kann nicht erkennen, dass wir in der politischen und journalistischen Aufbereitung dieser Schreckenstat, große journalistische Fehlleistungen gemacht haben.

Natürlich gibt es Nachrichten die uns erreichen, wo ich mich auch wundere wer die hinterfragt hat.

Natürlich bin ich skeptisch, wenn ich höre, dass sich in der Welt 11000 Schläfer befinden. Das ist eine ganze Armee. Ich weiss nicht ob das stimmt. Wahr ist sicherlich, dass die westlichen Geheimdienste versagt haben, ganz besonders die amerikanischen. Es darf nicht dazu führen, dass man nicht mehr Opfer und Täter unterscheiden kann. Wir sind jetzt schon in Erwartung eines Anschlags. Für manche sind die Amerikaner schon die Täter, noch bevor sie zuschlagen. Man darf nicht Ross und Reiter verwechseln. Es gibt Propaganda auf beiden Seiten.

Wir Journalisten haben die Möglichkeiten, Dinge zu hinterfragen. In allen seriösen Zeitungen und Sendungen wird quellenkritisch gearbeitet. An der Sorgfalt von unseren guten Journalisten zweifle ich nicht.

Es gibt keinen absoluten Schutz gegen falsche Berichte, aber ich glaube, dass wir bei der Berichterstattung nicht komplett ferngesteuert sind. Wir haben viele Möglichkeiten uns ein eigenes Bild zu machen.

Jeder Fernsehsender und jede größerer Zeitung hat eigene Korrespondenten im Ausland sitzen, das sind keine Idioten die sich zu Marionetten von Propagandaagenturen machen lassen.

Ich finde es richtig und wichtig, dass wir uns des Problems bewusst sind, dass wir manipuliert werden. Trotzdem sage ich, es gibt genügend tüchtige und intelligente Journalisten. Ich würde ungern den Eindruck stehen lassen, das wir überhaupt keine Chance haben, zwischen Gut und Böse zu entscheiden."

Quelle: http://www.wdr.de/online/polis/themen/20010924


Weiterer Beitrag zu den Bildern jubelnder Palästinenser und anderen Manipulationen:
Die Presse als Teil der Propaganda-Maschinerie
Ein Beispiel: 'Express' vom 12. September 2001

Alle Beiträge zu den Bildern jubelnder Palästinenser und anderen Manipulationen im Überblick:
Krieg um die Köpfe - Die Medien nach den Terroranschlägen
Material aus und zu einer Sendung im WDR-Fernsehen am 24. September 2001
Die Presse als Teil der Propaganda-Maschinerie
Ein Beispiel: 'Express' vom 12. September 2001
Zur Rolle des Fernsehens in der Kriegspropaganda
Redebeitrag auf der Bremer Demonstration am 22.9.2001
Die Infragestellung eines Details
Betrachtungen zur Manipulation mit den Bildern jubelnder Palästinenser
Afghanistan: US-Militärpropaganda mit falschen Bildern
Bericht von Jo Angerer und Konrad Ege im WDR-Fernsehen, 'Monitor' am 8.11.2001