Israels Krieg im Nahen Osten
Mekka entgegen - Muss ein Indianer das Existenzrecht der Vereinigten Staaten anerkennen?
Artikel von Uri Avnery, israelischer Friedensaktivist bei Gush Shalom, vom 17.2.2007 (in autorisierter Übersetzung von Christoph Glanz)

MUSS EIN Indianer das Existenzrecht der Vereinigten Staaten anerkennen?

Eine interessante Frage. Die USA wurden von Europäern gegründet, die einen Kontinent eroberten, der ihnen nicht gehörte, die den Großteil der indigenen Bevölkerung (die „Indianer“ ) in einem langen Völkermordfeldzug auslöschte, und die die Arbeit von Millionen Sklaven ausbeuteten, die brutal aus ihren Leben in Afrika gerissen wurden. Und dabei haben wir noch gar nicht erwähnt, was heute geschieht. Muss also ein indianischer Ureinwohner – oder überhaupt irgendjemand – das Existenzrecht eines solchen Staates anerkennen?

Aber niemand stellt diese Frage. Die Vereinigten Staaten kümmern sich einen Dreck darum, ob irgendjemand ihr Existenzrecht anerkennt oder nicht. Sie verlangen dies nicht von Staaten, mit denen sie offizielle Beziehungen pflegen.

Warum? Weil dies komplett lächerlich wäre.

O.k., die Vereinigten Staaten sind älter als der israelische Staat, und natürlich auch größer und mächtiger. Aber auch Länder, die keine Supermächte sind, verlangen dies nicht. Von Indien zum Beispiel, wird nicht erwartet, Pakistans „Existenzrecht“ anzuerkennen, obwohl Pakistan zur selben Zeit wie Israel gegründet wurde, und dies – wie im Falle Israels auch – auf Grundlage einer ethnisch-religiösen Basis.

ALSO WARUM wird von der Hamas verlangt, „Israels Existenzrecht anzuerkennen“?

Wenn ein Staat einen anderen „anerkennt“, so handelt es sich dabei um eine formelle Bestätigung eines bereits existierenden Faktums. Dies beinhaltet nicht Zustimmung. Von der Sowjetunion wurde nicht verlangt, die Existenz der USA als kapitalistischem Staat anzuerkennen. Nikita Chruschtschow versprach 1956 ganz gegenteilig, die USA zu „beerdigen“. Die USA wiederum erkannten zu keiner Zeit das Recht der Sowjetunion an, als kommunistischer Staat zu existieren.

Also warum wird diese seltsame Forderung den Palästinensern angetragen? Warum sollen sie das Existenzrecht Israels als jüdischem Staat anerkennen?

Ich bin ein israelischer Patriot, und ich bedarf niemandes Anerkennung des Rechts meines Staates zu existieren. Mir reicht es vollkommen, wenn jemand bereit ist, mit mir Frieden zu schließen, und zwar auf der Grundlage von gemeinschaftlich ausgehandelten Bedingungen und Grenzziehungen. Ich bin bereit, die Geschichte, Ideologie und Theologie dieser Materie den Theologen, Ideologen und Historikern zu überlassen.

Vielleicht sind wir auch 60 Jahre nach Staatsgründung und nachdem wir eine Regionalmacht geworden sind, unser selbst immer noch derartig unsicher, dass wir nach der stetigen Bestätigung unseres Existenzrechts von Seiten anderer verlangen – und dies ausgerechnet von dem Volk, dass wir seit nunmehr 40 Jahren unterdrücken. Vielleicht ist es immer noch die Ghetto-Mentalität, die uns derartig tief eingegraben ist.

Aber diese Forderung, die jetzt an die palästinensische Einheitsregierung gestellt wird, ist keinesfalls ehrlich. Im Hintergrund steht eine politische Absicht, genauer genommen zwei Absichten: zum einen soll die internationale Gemeinschaft davon überzeugt werden, die sich gerade formierende Einheitsregierung nicht anzuerkennen, und zum anderen soll die Weigerung der israelischen Regierung, sich auf Friedensverhandlungen mit dieser Regierung einzulassen, gerechtfertigt werden.

Die Briten bezeichnen einen solchen Zug als Bückling ("roter Hering“) – gemeint ist ein stark riechender Fisch, mit dem ein Ausbrecher die verfolgenden Hunde von ihrer Fährte abbringt, indem er den Fisch über den Weg schleift.

ALS ICH jung war, sagten die jüdischen Leute in Palästina gerne: „Unsere Geheimwaffe ist die arabische Verweigerung.“ Sobald jemand einen Friedensplan vorschlug, konnten wir uns immer auf das „Nein“ der arabischen Seite verlassen. Richtig, die zionistische Führung war gegen jeglichen Kompromiss, der den Status quo befestigt, und damit das Momentum der zionistischen Expansions- und Siedlungsbewegung gestoppt hätte. Dennoch sagten die zionistischen Führer „Ja“ und „Wir reichen unsere Hände zum Frieden“ – und konnten sich dabei darauf verlassen, dass die Araber den Vorschlag schon torpedieren würden.

Das war für den Zeitraum von hundert Jahren gültig, bis Yassir Arafat die Spielregeln änderte, Israel anerkannte und unterschrieb das Osloabkommen, welches die Festlegung der endgültigen Grenz-ziehung bis spätestens 1999 festlegte. Bis zum heutigen Tag haben diese Endstatusverhandlungen noch nicht einmal begonnen. Die aufeinander folgenden israelischen Regierungen verhinderten dies, da sie unter keinen Umständen dazu bereit waren, endgültigen Grenzziehungen zuzustimmen. ( Beim Camp David Treffen im Jahr 2000 handelte es sich nicht um echte Verhandlungen – Ehud Barak hatte das Treffen ohne jegliche Vorbereitung zusammengerufen, seine Bedingungen den Palästinensern diktiert und den Dialog abgebrochen, sobald sie diese verweigerten).

NACH DEM Tode Arafats, wurde die Weigerung immer schwieriger. Arafat wurde nur noch als Terrorist, Lügner und Betrüger dargestellt. Mahmud Abbas aber wurde von jedermann als ehrlicher Mensch anerkannt, der tatsächlich nach Frieden strebe. Dennoch gelang es Ariel Sharon, jegliche Verhandlungen mit ihm zu vermeiden. Die „unilaterale Trennung“ diente diesem Zweck. Präsident Bush unterstützte ihn dabei tatkräftig.

Nun, Sharon erlitt seinen Schlaganfall, und Olmert nahm seinen Platz ein. Und dann geschah etwas, das in Jerusalem für große Freude sorgte: die Palästinenser wählten die Hamas.

Wie wunderbar! Immerhin bezeichneten sowohl die USA als auch Europa die Hamas als Terrororganisation! Hamas ist Teil der schiitischen Achse des Bösen! (Sie sind keine Schiiten, aber wen kümmert das schon!) Hamas erkennt Israel nicht an! Hamas versucht Mahmud Abbas zu eliminieren, den noblen Mann des Friedens! Selbstverständlich ist es weder notwendig, noch machte es Sinn, mit einer solchen Gang Verhandlungen über Frieden und Grenzen zu führen.

Und tatsächlich boykottieren die Vereinigten Staaten und ihre europäischen Satelliten die palästinensische Regierung und lassen die palästinensische Bevölkerung hungern. Sie haben drei Bedingungen für die Aufhebung der Blockade gesetzt: a) dass die palästinensische Regierung und die Hamas das Existenzrecht Israels anerkennen, b) dass sie den „Terror“ beenden müssen, und c) dass sie die mit der PLO unterzeichneten Verträge erfüllen müssen.

Oberflächlich gesehen, macht all das Sinn. In der Realität hingegen nichts von alledem. Weil all diese Bedingungen komplett einseitig sind:

a) die Palästinenser müssen Israels Existenzrecht anerkennen (ohne jedoch dessen Grenzen zugleich definieren zu können), die israelische Regierung hingegen muss nicht das Existenzrecht eines palästinensischen Staates anerkennen.

b) die Palästinenser müssen dem „Terror“ ein Ende setzen, aber die israelische Regierung muss nicht seine militärischen Aktionen in den besetzten Gebieten beenden oder mit dem Siedlungsbau aufhören. Die „Roadmap“ hatte genau dies tatsächlich gefordert, wird aber von jedermann ignoriert, insbesondere von den Amerikanern.

c) die Palästinenser müssen die Verträge erfüllen, nicht aber die israelische Regierung, die nahezu alle Artikel der Verträge von Oslo gebrochen hat. Unter anderem: die Eröffnung einer „sicheren Passage“ zwischen der Westbank und dem Gazastreifen, den Vollzug der dritten „militärischen Rückzugsphase“ (Rückzug von palästinensischem Gebiet), die Behandlung der Westbank und des Gazastreifens als einer Entität, und so weiter und so fort.

Seitdem die Hamas an die Macht gekommen ist, haben ihre Führer verstanden, dass sie flexibler werden müssen. Sie haben ein offenes Ohr für die Befindlichkeit ihres Volkes. Die palästinensische Bevölkerung sehnt sich nach einem Ende der Besatzung und einem Leben in Frieden. Daher hat sich die Hamas Schritt für Schritt einer Anerkennung Israels angenähert. Ihre religiöse Doktrin erlaubt ihnen nicht, dies öffentlich zu deklarieren (jüdische Fundamentalisten lassen auch nicht von dem Wort „Deinen Nachfahren gebe ich dieses Land“), aber sie hat dies sehr wohl indirekt getan. Ein kleiner Schritt, aber eine große Revolution.

Hamas hat seine Unterstützung für die Schaffung eines palästinensischen Staates innerhalb der 1967-er Grenze verkündet – wohlgemerkt: nicht statt Israel, sondern an Israels Seite.

(Noch diese Woche hat der ehemalige Minister Kadura Fares wiederholt, dass der Hamas- Führer Khalel Mashal dies bestätigt hat). Hamas hat Mahmud Abbas mit der Verhandlungsvollmacht mit Israel ausgestattet und sich von vorneherein verpflichtet, jeglicher durch ein Referendum ratifizierten Übereinkunft zuzustimmen. Abbas befürwortet natürlich die Schaffung eines palästinensischen Staates neben Israel entlang der Grünen Linie. Es gibt keinen geringsten Zweifel daran, dass die große Mehrheit der Palästinenser einem solchen Vertrag zustimmen würde, sobald er ausgehandelt wäre.

In Jerusalem macht sich die Sorge breit. Wenn dies so weiter geht, könnte die Welt glatt den Eindruck erhalten, dass sich die Hamas geändert hat, und daraufhin – Gott behüte! – die ökonomischen Sanktionen gegen die Palästinenser aufheben.

NUN KOMMT der saudische König dazu und stört Olmerts Pläne noch einmal zusätzlich.

In einem beeindruckenden Ereignis, im Angesicht der heiligsten Stätte des Islam, beendete der König die blutige Fehde zwischen den palästinensischen Sicherheitsorganen und bereitete den Grund für eine palästinensische Einheitsregierung. Hamas verpflichtete sich, die von der PLO unterzeichneten Verträge, einschließlich des Oslo-Abkommens, das ja die gegenseitige Anerkennung des Staates Israel und der PLO als legitime Vertretung des palästinensischen Volkes beinhaltete, zu respektieren.

Der König hat damit die palästinensische Sache aus der Umklammerung des Iran gelöst, an die sich die Hamas aufgrund mangelnder Alternativen gewandt hatte, und hat Hamas damit in den Schoß der sunnitischen Familie zurückgeführt. Da Saudi-Arabien der Hauptalliierte der USA im arabischen Raum ist, hat es damit zugleich die palästinensische Sache mit Nachdruck auf den Arbeitstisch des Oval Office gebracht.

In Jerusalem wäre beinahe Panik ausgebrochen. Dies ist der bedrückendste aller Albträume: die Angst, dass die uneingeschränkte Unterstützung Israels durch die USA und Europa beeinträchtigt werden könnte.

Die Panik zeitigte unmittelbare Resultate: „politische Kreise“ in Jerusalem verkündeten, sie lehnten das Mekka-Abkommen von vorneherein ab. Dann setzte ein zweiter Gedanke ein. Shimon Peres, der bereits seit langem gekrönte Meister der „Jein“-Methode, überzeugte Olmert, dass das rüde „Nein“ durch ein etwas gefälligeres „Nein“ zu ersetzen sei. Zu diesem Zwecke wurde erneut der Bückling aus dem Kühlschrank genommen.

Es reicht nicht aus, dass die Hamas Israel de facto anerkennt. Israel besteht darauf, sein „Existenzrecht“ sei auch noch anzuerkennen sei. Politische Anerkennung reiche nicht aus, es bedürfe der ideologischen Anerkennung. Getreu dieser Logik könnte man auch gleich verlangen, dass Khaled Mashal doch, bitte, der zionistischen Bewegung beitreten solle.

WENN JEMAND denkt, Frieden sei für Israel wichtiger als Expansion und Siedlungen, dann müsse derjenige die im Mekka-Abkommen dokumentierte Wandlung der Hamas begrüßen – und die Organisation darin bestärken, diesen Weg fortzusetzen. Dem König Saudi Arabiens, dem es bereits gelungen ist, alle arabischen Staaten dazu zu bewegen, Israel im Gegenzug gegen die Schaffung eines palästinensischen Staates innerhalb der Grünen Linie anzuerkennen, sollte aufs herzlichste gratuliert werden.

Aber wenn jemand den Frieden ablehnt, weil dieser die Grenzen Israels endgültig festsetzen und keine weitere Ausdehnung erlauben würde, dann wird er alles tun, um die Amerikaner und Europäer davon zu überzeugen, dass der Boykott der palästinensischen Regierung und des palästinensischen Volkes aufrechtzuerhalten sei.

ÜBERMORGEN WIRD Condoleeza Rice einem Treffen von Olmert und Abbas in Jerusalem vorsitzen.

Die Amerikaner haben nun ein Problem. Auf der einen Seite brauchen sie den saudi-arabischen König. Dieser sitzt nicht nur auf großen Ölreserven, sondern ist auch der Eckstein des „moderaten sunnitischen Blocks“. Wenn der König Bush sagen sollte, die Lösung des palästinensischen Problems werde ( dringend) gebraucht, um die wachsende Einflussnahme des Iran im Nahen Osten zu verhindern, so wäre dies eine Äußerung von großem Gewicht. Falls Bush einen militärischen Angriff auf den Iran plant - und es hat den Anschein, dass er dies tut – so ist es wichtig für ihn, die Sunniten vereinigt an seiner Seite zu wissen.

Andererseits ist Bush auf die Pro-Israel Lobby – sowohl auf die jüdische als auch die christliche – angewiesen. Es ist für ihn insbesondere von vitalem Interesse, die „Christliche Basis“ der Republikaner hinter sich zu wissen, die die radikale Rechte in Israel unterstützen, komme da, was da wolle.

Also, was muss getan werden? Nichts. Für dieses Nichts fand Condi im Fundus des aktuellen amerikanischen Slang einen geeigneten diplomatischen Slogan: „Neue politische Horizonte“.

Offensichtlich hat sie nicht über die Bedeutung dieser Worte nachgedacht; denn der Horizont ist etwas, dass man niemals erreicht: je mehr man sich ihm näherst, umso mehr zieht er sich zurück.

(Quelle: uri-avnery.de)


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