Der Krieg und die Medien (4)
Wie die Menschen auf den Krieg eingestimmt werden
1. Über die Bilder von den jubelnden Palästinensern und andere Manipulationen im 'Krieg gegen den Terror':
2. Wie in vergangenen Kriegen manipuliert wurde, um kriegslüstern zu machen:
2a. Wie in vergangenen Kriegen manipuliert wurde: der Fall 'Srebrenica'
3. Der Angriff der Mainstream-Medien auf die 'Verschwörungstheoretiker':
4. 'Die Akte Saddam' und die Auseinandersetzung um das 'Massaker' von Halabja:
5. Die 'Beweise' des Herrn Powell für den Angriff auf den Irak:
6. Wie der 'Sieg' gegen den Irak in Szene gesetzt wurde:
7. Die 'Festnahme' der Saddam Hussein genannten Person
8. Der erste Gerichtstermin mit der Saddam Hussein genannten Person
9. Schritte zur Installation bzw. Verfestigung des Feindbildes Nordkorea

'Die Akte Saddam' - Kriegspropaganda oder zutreffende Information zum richtigen Zeitpunkt?

Zur Kampagne des Nachrichtenmagazins 'Der Spiegel' und anderer Medien im Vorfeld des geplanten Kriegs gegen den Irak

'Spiegel'-Kampagne in deutschen Städten
Ende Januar bis Anfang Februar 2003

Im Spiegel-Artikel vom 3.2.2003 mit dem Titel "Akte Saddam (II) - 'Der gefährlichste Mann der Welt'", heißt es: "Im März 1987 ernannte Saddam seinen mörderischen Cousin Ali Hassan al-Madschid zum Gouverneur des Nordirak. Am 16. März 1988 unternahm Ali Hassan seinen berüchtigten Überfall auf die kurdische Stadt Halabdscha. Er setzte verschiedene chemische Kampfstoffe ein und tötete mindestens 5000 kurdische Zivilisten..." Auf der Titelseite des 'Spiegel' vom 27.1.2003, das sich auch als Werbeträger überall im deutschen Stadtbild wiederfindet, wird diese Darstellung durch ein Bild aus Halabja, das in die Montage eingebaut ist, unterschwellig illustriert - ohne Quelle und Zusammenhang des Bildes zu benennen.

Opfer des Giftgasangriffs auf Halabja vom 16.3.1988
(rechts: Ausschnitt aus der Titelbild-
Montage)

Am 31.1.2003 heißt es dagegen in der 'New York Times': "Unmittelbar nach der Schlacht (von Halabja) führte die DIA (der militärische Geheimdienst der US-Army) eine Untersuchung durch, deren Ergebnisse in einem Geheimbericht festgehalten wurden. In diesem Bericht stand ganz klar, daß iranisches Gas die Kurden getötet hatte und nicht irakisches. Die Agency (DIA) hatte herausgefunden, daß beide Seiten in der Schlacht um Halabja Giftgas eingesetzt hatten. Der Zustand der Leichen der Kurden deutete jedoch darauf hin, daß sie mit einem Gift getötet wurden, der über die Blutbahnen wirkt, d.h. mit einem Gas auf Zyankali-Basis, das - und dies war bekannt - von Iran eingesetzt wurde. Die Iraker, bei denen davon ausgegangen wurde, daß sie Senfgas eingesetzt hatten, hatten zu jener Zeit kein Gas, das über die Blutbahnen wirkt."

Das ist ein Beispiel für die Fragwürdigkeit der Darstellung im 'Spiegel'. Kein Wort findet er über die unterschiedlichen, sich widersprechenden Darstellungen.

Und warum der Artikel zu diesem Zeitpunkt? Unmittelbar vor dem geplanten Krieg gegen den Irak soll offensichtlich (wieder) ein entsprechendes Feindbild aufgebaut werden.

Interessant ist die Frage, wie der 'Spiegel' 1988 über den Giftgasangriff vom 16.3.1988 auf Halabja berichtet hat.

Wir suchen in der Ausgabe vom 21.3.1988: Wir finden keine Information über die Vorgänge von Halabja.

Wir suchen in der Ausgabe vom 28.3.1988: Wir finden keine Information über die Vorgänge von Halabja.

Schließlich am 4.4.1988 entdecken wir auf Seite 148 einen Artikel, der sich ca. 3 Wochen nach dem Ereignis mit den Vorgängen von Halabja befaßt. Wir lesen dort von der propagandistischen Wirkung zugunsten des Iran:

"Ajatollah Ruholla Chomeini: ... Der Bagdader Kriegsherr sei ein 'Tier, das sein eigenes Volk chemisch bombardiert'... Sein 'Ekel und Abscheu' richtete sich gegen ein Massaker, das einen neuen grausigen Höhepunkt in dem... iranisch-irakischen Krieg markiert: der Senfgas-Angriff auf die nordirakische Bergstadt Halabdscha, bei der Mitte März über 5000 Zivilisten überwiegend kurdischer Abstammung qualvoll erstickten. Es war der schlimmste Einsatz von Kampfgas seit dem ersten Weltkrieg... Die Bilder von in der Hitze aufgequollenen Leibern und toten Säuglingen in den staubigen Straßen der Stadt gingen in alle Wohnstuben: Die Teheraner Chef-Propagandisten, sonst im Umgang mit westlichen Medien wenig kooperativ, flogen mit Armee-Helikoptern Dutzende Journalisten und Kamera-Crews nach Halabdscha, um, so ein iranischer Funktionär, 'der Welt zu zeigen, wie grausam der teuflische Saddam und sein Regime sind'. Die grauenvollen Bilder von Eltern, die sich schützend über ihre Kinder warfen, sich im Sterben mit ihnen verkrampften, erschütterten die Welt. Die Iraner reizten die Propaganda-Wirkung voll aus..."

Im 'Stern' vom 30.3.1988, einige Tage früher als im 'Spiegel' lesen wir auf S.288:

"Der Tod kommt um 14 Uhr. Eine Mirage der irakischen Lufwaffe jagt über die Stadt Halabja im Nordosten des Landes. Sie ist von Bagdad-feindlichen Kurden bewohnt und von den Iranern erobert worden. Das Flugzeug wirft mehere Bomben ab. Gelblich-weiße Wolken ziehen durch die Straßen. Einer ausländischen Journalistengruppe, die von den Iranern wenige Tage später in die Stadt gebracht wird, bietet sich ein Bild des Schreckens. Keine Wunden, kein Blut sind an den Körpern der Männer, Frauen und Kinder zu sehen, die noch auf den Straßen und in den Häusern von Halabja liegen. Die Haut der Toten ist seltsam verfärbt, die Augen starren ins Leere, ein grauer Schleim ist aus dem Mund getreten, die Finger sind im Todeskampf erstarrt. Daneben liegen die aufgeblähten Körper toter Tiere... Insgesamt, so die iranische Nachrichtenagentur IRNA, starben in Halabja 5000 Menschen, 4000 wurden verletzt, als die Iraker Bomben mit Senf- und Blausäuregas abwarfen, wahrscheinlich auch das Nervengas Tabun..." Quelle der 'Nachricht' ist also offenbar die iranische Nachrichtenagentur IRNA, also eine der Kriegsparteien.

In Zusammenhang mit dem Golfkrieg 1991 bietet sich wieder eine Gelegenheit, die Story von Halabja zum Einsatz zu bringen. Der 'Spiegel' vom 8.4.1991 schreibt auf Seite 168:

"Eine Idylle im wilden Kurdistan - doch dann, am 16. März 1988: brach über Halabdscha das Inferno herein: Ohne Vorwarnung bombardierte die irakische Armee das pittoreske Bergstädtchen mit Senfgas-Granaten. Die Folgen waren fürchterlich: Über 5000 Zivlilisten, vorwiegend kurdischer Abstammung, erstickten qualvoll. Die Bilder von Eltern, die sich schützend über ihre Kinder geworfen und im Sterben mit ihnen verkrampft hatten, erschütterten die Welt. Seither markierte der Name von Halabdscha eines der widerlichsten Kriegsverbrechen des irakischen Despoten Saddam Hussein. Der Chemiewaffen-Angirff auf die unschuldige Bevölkerung, durch die das Paktieren mit Aufständischen bestraft werden sollte, gilt als der schlimmste Einsatz von Kampfgas seit dem Ersten Weltkrieg."

Und jetzt - im Jahr 2003 - im Vorfeld des geplanten Krieges gegen den Irak - übrigens ohne jemals die Verbrechen an den in der Türkei lebenden Kurden in vergleichbarer Weise thematisiert zu haben - ist es wieder an der Zeit, den Fall Halabja zu verwenden, um damit der Weltbevölkerung deutlich zu machen, daß im Irak ein Regime an der Macht ist, das vor einem Völkermord nicht zurückschreckt.

Halabja in der ZDF-Sendung vom 23.2.2003
"Saddam - Die wahre Geschichte"

"1988: Giftgaseinsatz gegen irakische Kurden. Der nach Unabhängigkeit strebende Volksstamm hat es gewagt, mit dem Ajatollah zu paktieren. 5000 Tote - in Minuten. Er hat seine Gegner vergiften lassen. Er hat sogar Völkermord begangen, um ganze Gegenden auszuradieren. Er schreckt vor nichts zurück, um an der Macht zu bleiben." So läßt die ZDF-Sendung 'Saddam - Die wahre Geschichte' am 23.2.2003 in der Sendereihe 'History' den als irakischen Oppositionellen bezeichneten Nabil Musawi über den 'Tyrannen vom Tigris' zu Wort kommen.

"Der Diktator, der die gefährlichsten Waffen der Welt ansammelt, hat sie bereits gegen ganze Dörfer eingesetzt - wodurch tausende seiner eigenen Bürger getötet, blind oder entstellt wurden... Wenn das nicht das Böse ist, dann weiß ich nicht, was das Böse ist." So US-Präsident George W. Bush in seinem Bericht zur Lage der Nation am 28.1.2003 im Capitol zu Washington.

"Meinen gesamten Ausführungen, allen Fakten und von mir ausgemachten Verhaltensmustern liegt eines zugrunde: Saddam Husseins Missachtung des Willens dieses Rats [des UN-Sicherheitsrats], seine Missachtung der Wahrheit und - am verachtenswertesten von allem - seine vollständige Missachtung menschlichen Lebens. Saddam Husseins Einsatz von Senfgas gegen die Kurden im Jahr 1988 war eine der schrecklichsten Gräueltaten des 20 . Jahrhunderts. 5.000 Männer, Frauen und Kinder kamen ums Leben..." So äußert sich US-Außenminister Colin L. Powell vor dem UN-Sicherheitsrat in seiner Rede vom 5.2.2003, in der er diverse Behauptungen aufstellt, die er Beweise nennt.

Und der 'Spiegel' schließt sich dieser Kampagne an - mit einer Artikelserie des US-Autors Kenneth Pollack, der auf den Seiten des Inhaltsverzeichnisses (27.1.2003) als Nahost-Experte und ehemaliger CIA-Mann bezeichnet wird.


Bushs erfundener Genozid

Artikel von Rainer Rupp in 'junge Welt' vom 3.2.2003, basierend auf einer Veröffentlichung in der 'New York Times' vom 31.1.2003

CIA-Veteran enthüllt Wahrheit über angeblichen irakischen Giftgasangriff auf das kurdische Halabja

Am vergangenen Freitag hat sich in einem inzwischen weit beachteten Artikel in der New York Times Professor Stephen C. Pelletiere zu Wort gemeldet. Pelletiere hat, aufgrund seiner Biographie und seines Wissens als führender Mitarbeiter der CIA und der US-Army, eine der hinterhältigsten Lügengeschichten zur Rechtfertigung des nächsten US-Krieges gegen Irak nicht nur entkräftet, sondern sie wie eine Seifenblase zum Platzen gebracht. Es geht um die Behauptung, daß Saddam Hussein chemische Waffen gegen die Bürger seines eigenen Landes eingesetzt habe. Dies ist inzwischen zum festen Bestandteil der Vorwürfe all jener geworden, die den Machthaber in Bagdad als Monster darzustellen versuchen, der nur noch mit einem »Präventivkrieg« von Schlimmerem abgehalten werden könne. Der angeblich schlagkräftigste Beweis für die abscheulichen Untaten Saddam Husseins, der immer wieder angeführt wird, betrifft den als Genozid dargestellten angeblichen Giftgasangriff der irakischen Armee gegen das wehrlose kurdische Dorf Halabja in der Nähe der iranischen Grenze. Dort wurden im März 1988, gegen Ende des acht Jahre dauernden Kriegs zwischen Iran und Irak, angeblich bis zu 5000 Dorfbewohner getötet.

»Aufgrund meiner früheren Tätigkeiten weiß ich Bescheid, denn während des Iran-Irak-Krieges war ich Chefauswerter für Irak in der Central Intelligence Agency (CIA), und von 1988 bis 2000 war ich Professor am Army War College«, schrieb Stephen C. Pelletiere in der NYT und fuhr fort: »Ich hatte Zugang zu dem geheimen Material, das mit dem Persischen Golf zu tun hatte und durch Washington floß. Außerdem habe ich seit 1991 eine Untersuchungsgruppe der US-Army geleitet, die herausfinden sollte, wie die Iraker einen Krieg gegen die Vereinigten Staaten führen würden.« Daher habe er sich auch intensiv mit der sogenannten »Halabja-Geschichte« befaßt, über die es einen »sehr detaillierten Geheimbericht« gebe, aus dem jedoch nicht ersichtlich sei, wer nun tatsächlich für die Toten in Halabja verantwortlich ist.

»In Wahrheit wissen wir nur, daß an diesem Tag die Kurden von Halabja mit Giftgas bombardiert wurden. Aber wir können nicht mit Sicherheit sagen, daß es irakische Chemiewaffen waren, welche die Kurden getötet haben«. Aber das sei »nicht die einzige Verfälschung in der Halabja-Geschichte«, so Pelletiere.

»Die Vergasung von Halabja, und das wissen wir mit Sicherheit, erfolgte während einer Schlacht zwischen Irakern und Iranern«, führt Pelletiere in der NYT weiter aus. »Irak setzte Chemiewaffen ein, um die Iraner zu töten, die das (irakische) Dorf unweit der iranischen Grenze besetzt hatten. Wenn also dabei kurdische Zivilisten getötet wurden, dann hatten sie das Pech, ins Kreuzfeuer geraten zu sein. Aber ganz sicher waren sie nicht das Hauptziel der Iraker«, betonte der ehemalige CIA-Auswerter, um dann auf einen »dunkleren Teil der Geschichte« hinzuweisen:

»Unmittelbar nach der Schlacht (von Halabja) führte die DIA (der militärische Geheimdienst der US-Army) eine Untersuchung durch, deren Ergebnisse in einem Geheimbericht festgehalten wurden«, so Pelletiere. »In diesem Bericht stand ganz klar, daß iranisches Gas die Kurden getötet hatte und nicht irakisches. Die Agency (DIA) hatte herausgefunden, daß beide Seiten in der Schlacht um Halabja Giftgas eingesetzt hatten. Der Zustand der Leichen der Kurden deutete jedoch darauf hin, daß sie mit einem Gift getötet wurden, der über die Blutbahnen wirkt, d.h. mit einem Gas auf Zyankali-Basis, das - und dies war bekannt - von Iran eingesetzt wurde. Die Iraker, bei denen davon ausgegangen wurde, daß sie Senfgas eingesetzt hatten, hatten zu jener Zeit kein Gas, das über die Blutbahnen wirkt«, führt Professor Pelletiere seine Beweisführung über die Lügen der Regierungen Bush und Blair zu Ende.

Zugleich brachte Pelletiere sein Erstaunen darüber zum Ausdruck, daß »diese Fakten schon seit langem öffentlich bekannt sind, aber im Zusammenhang mit der Halabja-Affäre so gut wie nie erwähnt werden«. Bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen der DIA-Bericht, daß iranisches Gas die Kurden von Halabja getötet hat, dennoch erwähnt würde, würde sofort spekuliert, daß der Bericht zugunsten Saddam Husseins politisch frisiert worden sei, der 1998 von Washington noch als guter Freund gehätschelt wurde. »Ich versuche hier nicht, Saddam Hussein zu rehabilitieren«, schließt Pelletiere, er sei schließlich für viele Verstöße gegen die Menschenrechte verantwortlich. Aber »ihm die Vergasung seiner eigenen Leute in Halabja als Akt des Völkermords vorzuwerfen, das ist nicht korrekt.«


Reaktion (eMail vom 24.2.2003): "ich bin wirklich entsetzt darüber, dass ihr so einen Schmarren, wie den Artikel von Rainer Rupp, 'Bushs erfundener Genozid' zum Lesen weiterempfehlt und auf eure Anti-Kriegsseite setzt. Bekannt ist, das die Junge Welt das Baath-Regime Saddam Husseins geradezu hofiert, von einer seriösen Berichterstattung kann also keine Rede sein. Auch in diesem Fall gibt es genauso viele Gründe, die gegen die Darstellung Pelletieres sprechen, der zu der Zeit CIA-Mitarbeiter war, als Saddam noch der beste Freund der USA war. Sehr genau dröselt das der ... Artikel aus der aktuellen ak auf. Ich kann euch nur empfehlen, schleunigst eure Anti-Kriegsseite zu entrümpeln und solchen Mist wie von der Jungen Welt rauszuschmeißen."


Warum Glauben schenken?

Leserbrief von Bernhard Schmid in 'junge Welt' vom 6.2.2003 - zum Artikel 'Bushs erfundener Genozid' von Rainer Rupp in 'junge Welt' vom 3.2.2003

Rainer Rupp bestreitet die Realität des Massakers vom März 1988 in der kurdischen Kleinstadt Halabja. Dabei wird allerdings nicht ganz klar, ob dieses für ihn nun reine Phantasie ist (die Überschrift spricht immerhin von »erfundene(m) Genozid«), ob es nun Realität ist, aber eher auf das Konto des iranischen Regimes geht, oder ob es sich nur um einen Kollateralschaden im Iran-Irak-Krieg - »Pech« für die Kurden eben - handele. Darauf kommt es Rainer Rupp aber auch nicht an.

Ich finde dieses Beiseite-Wischen eines mit Giftgas verübten Massenmords eine politische und menschliche Infamie. Vorausschicken möchte ich, daß ich eine scharfe Antikriegsposition im Hinblick auf den drohenden imperialistischen Krieg der USA im Irak einnehme, die mich wiederum in anderen linken Publikationen zu Konflikten geführt hat. Diese wird auch nicht dadurch getrübt, daß ich denke, daß man die Realität von Halabja berücksichtigen muß. Denn die USA waren ebenso wie andere zentrale imperialistische Staaten - Frankreich und Westdeutschland - damals Komplizen des irakischen Regimes. Besser noch, sie rüsteten sowohl die irakische als auch die iranische Diktatur gleichzeitig auf, um beide gegeneinander zu hetzen. Das Ziel der Operation lautete: Petroldollar-Recycling. Die von den Diktaturen der Region abgeschöpfte Ölrente floß so in die Metropolen zurück - für Rüstungskäufe und später für Wiederaufbau.

Rainer Rupp bedient sich der Zeugenaussage eines CIA-Veteranen, die aus diversen Gründen abgegeben worden sein kann. Wahrscheinlich auch deswegen, weil der gute Mann damals selbst mit der Aufrüstung des Irak betraut gewesen sein mag... Die von Ex-CIA-Mann Pelletiere zitierte DIA - d.h. der militärische Spezialgeheimdienst in den USA - etwa war noch bis 1990 für die B- und C-Waffenausstattung des Irak zuständig. Das ist übrigens auch in jW vom 20. August 2002 nachzulesen, aus der Feder von Rainer Rupp. (...)

Warum soll man einem solchen Typen dann auf den ersten Blick Glauben schenken? Man sollte nicht die Erkenntnisse so zurechtbiegen, wie es einem nur in den Kram paßt, um in der Tagespolitik gerade, einfache Fronten hinzubekommen. Man kann (und muß) gegen einen imperialistischen Krieg am Golf sein. Deswegen braucht man noch lange nicht - auch wenn es die Weltsicht vereinfachen würde - zu glauben, daß der Irak ein gutes Regime hat. Seine Waffenbrüderschaften von gestern mit führenden imperialistischen Staaten bilden bereits ein Indiz, das dagegen spricht.

Rainer Rupp könnte von »Bushs erfundenem Genozid« sprechen, wenn es zutreffen würde, daß George W. Bush jüngst - mit Beginn der Angriffspläne der US-Administration gegen den Irak - Halabja zum ersten Mal in der Geschichte erwähnt hätte. Etwa so, wie Rudolf Scharping seinen berüchtigten »Hufeisenplan« (...) aus dem Hut zauberte, als er Legitimation für einen Krieg gegen Jugoslawien benötigte.

Doch im Fall Halabja liegen die Dinge völlig anders. Das Massaker vom März 1988 ist nicht jüngst vom US-Präsidenten aus dem Hut gezaubert worden. Im Gegenteil haben die Regierungen in Washington, Paris und Bonn zum Zeitpunkt von Halabja allesamt abgewiegelt.

Der damalige irakische Außenminister Tariq Aziz (heute Vizepremier) war kurz nach Halabja zum Staatsbesuch in Bonn. Dort leugnete er das Massaker in der kurdischen Kleinstadt nicht etwa, er stritt auch die Verantwortung des Irak mitnichten ab. Er sagte nur, daß man im Westen nicht über solche Taten urteilen solle, da »Sie in einer friedlichen und zivilisierten Umgebung leben, anders als wir«. Zur Belohnung fuhr er mit fetten westdeutschen Krediten wieder heim. (...)

Jene, die morgen einen Krieg mit bisher unabsehbaren Folgen im Irak vom Zaun brechen wollen, sind meine Feinde. Aber der Feind meines Feindes ist deswegen noch lange nicht mein Freund. Vor allem, wenn es sich um ein blutiges Regime handelt, das selbst lange Zeit die Waffenbrüderschaft führender imperialistischer Staaten genossen hat.

Quelle: http://www.jungewelt.de/2003/02-06/023.php


Der CIA-Mann und Halabja - Zur angeblichen 'Wahrheit' über den Giftgasangriff auf die Kurden

Artikel von Ulla Jelpke in 'junge Welt' vom 6.2.2003

Der CIA-Veteran und Autor diverser Bücher zum Iran-Irak-Krieg, Stephen C. Pelletiere, hat sich vor wenigen Tagen in der New York Times über seine geheimdienstlichen Erkenntnisse zum Giftgasangriff auf das im irakischen Kurdistan liegende Halabja geäußert (siehe jW vom 10. Februar 2003). Schon in der Überschrift ist von einem »angeblichen Genozid« und der »Wahrheit« eines CIA-Veteranen die Rede. Danach ist Saddam Hussein nicht »die Vergasung seiner eigenen Leute in Halabja als Akt des Völkermords vorzuwerfen, das ist nicht korrekt«, vielmehr hätte »iranisches Giftgas die Kurden getötet«. Pelletiere erklärt: »Die Vergasung von Halabja, und das wissen wir mit Sicherheit, erfolgte während einer Schlacht zwischen Irakern und Iranern«. Der »Irak setzte Chemiewaffen ein, um die Iraner zu töten, die das (irakische) Dorf unweit der Grenze besetzt hatten. Wenn also kurdische Zivilisten getötet wurden, dann hatten sie das Pech, ins Kreuzfeuer geraten zu sein, aber ganz sicher waren sie nicht das Hauptziel der Iraker«.

Tatsächlich ereignete sich am 16. März 1988 ein irakischer Giftgasbombenangriff auf die kurdische Stadt Halabja, die im Grenzgebiet zwischen Iran und Irak liegt. 5000 Kurden kamen dabei ums Leben und mehr als 10000 wurden schwer verletzt. Damals war Saddam Hussein noch der beste Freund des Westens und des Ostens. Die Waffen für diesen Völkermord kamen aus den USA, die Technik und die Rohstoffe für das Giftgas aus der Bundesrepublik. Etwa 70 Prozent der Giftgasproduktionsanlagen im Irak stammten nach Presseberichten aus der Bundesrepublik. Sieben Mitarbeiter deutscher Rüstungsfirmen wie Preussag, W.E.T., Karl Korb, Pilot Plant wurden 1990 vorübergehend festgenommen. Die Lkw, mit denen die Opfer von »Anfal« - dem irakischen Namen für die Vernichtungs- und Vertreibungsaktion gegen die Kurden - abtransportiert wurden, kamen aus der DDR.

Die taz berichtete am 17. Dezember 2002, daß laut dem Dossier, das die irakische Regierung den Vereinten Nationen kurz zuvor vorgelegt hatte, 80 bundesdeutsche Firmen an der Aufrüstung des Irak mit Massenvernichtungswaffen beteiligt waren. Nach jahrelangen Verfahren endeten die Prozesse dazu 1994 bzw. 1996 mit Bewährungsstrafen, Freisprüchen und Verfahrenseinstellungen.

Der Angriff auf Halabja war nur eines von vielen Verbrechen des irakischen Regimes unter Saddam Hussein an der kurdischen Bevölkerung in Südkurdistan (Nord-Irak). Bereits im April 1987, also lange vor Halabja, hatten irakische Streitkräfte gegen kurdische Zivilisten Giftgas eingesetzt. Nach Recherchen von Human Rights Watch (HRW) wurden während der »Anfal«-Operationen, die von Februar bis September 1988 dauerten, in mindestens 40 Orten Chemiewaffen gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt. Nach Schätzungen von HRW wurden während der Operationen 100000 Menschen verschleppt und ermordet. Von kurdischer Seite wird die Zahl 182000 genannt. Laut einer Dokumentation von kurdischen Ärzten aus dem Jahr 2001 wurde in 50 Orten Giftgas eingesetzt.

1988 befanden sich Irak und Iran im Krieg. Die Iraner bedrohten die Ölfelder um Kirkuk, weite Gebiete des nördlichen Irak befanden sich unter Kontrolle der Peshmerga, der kurdischen Verteidigungskräfte. In Halabja gab es tatsächlich eine enge Kooperation zwischen Peshmerga und Iran. »Anfal« ging einher mit einer systematischen Vertreibung und Vernichtung der kurdischen Zivilbevölkerung durch das irakische Regime. Im Verlauf der irakischen Operationen wurden 3000 Ortschaften zerstört, mehr als 500000 Kurden flohen in den Iran oder wurden inhaftiert und deportiert. Die Verantwortung für »Anfal« trugen das »Büro für die Angelegenheiten des Nordirak« und dessen Oberbefehlshaber Ali Hassan al-Majid. In einer Direktive hatte er 1987 angeordnet: »Alle Dörfer, in denen sich Saboteure, Anhänger des Iran, die Verräter des Irak und noch ihresgleichen befinden, werden als sicherheitsgefährdete Dörfer betrachtet… Die menschliche Existenz und der Viehbestand in den oben erwähnten Dörfern werden endgültig vernichtet. Diese Dörfer werden als Todeszone betrachtet, und es darf ganz frei und ohne Rücksicht auf Regelungen geschossen werden«. (Informationsabteilung der PUK, 10. 8. 1987). Nach dem Giftgasangriff auf Halabja berichtete der Spiegel vom 4.April 1988, ein irakischer Regierungssprecher habe erklärt: »Saddam Hussein bestrafe die kurdischen Bewohner, weil sie sich nicht gegen die Eroberung durch iranische Truppen gewehrt, sondern die ›Invasoren auch noch mit Jubel begrüßt‹ hätten«. Joost R. Hiltermann von HRW, der maßgeblich zur Aufdeckung der irakischen Verbrechen beigetragen hat (er hatte die irakischen Dokumente analysiert, die den Peshmerga 1991 in die Hände fielen), erklärte anläßlich einer Konferenz in Berlin am 27./28. März 1998: »Die Grundlage für die Behauptung, auch der Iran hätte C-Waffen eingesetzt, kam von Leuten aus dem War College. Angeblich wußten sie nicht, daß der Irak Zyanid besaß, die amerikanischen Nachrichtendienste gelten ja als sehr gut, aber sie sind nicht sehr gut. Sie wußten nicht, was die Iraker hatten. Aber das ist ja seither nachgewiesen worden, seit UNSCOM im Irak wieder tätig geworden ist«. (UNSCOM - UN Special Commission, auf der Grundlage von UN-Sicherheitsratsresolution 687, der »Waffenstillstandsresolution« vom 3. April 1992 von der UNO eingerichtete Kommission zur Überwachung der Abrüstung der verbotenen irakischen Waffenarsenale. Nach dem Rausschmiß der Inspektoren 1998 wurde die UNSCOM am 17. Dezember 1999 - Resolution 1284 - von der UNMOVIC, UN Monitoring, Verification and Inspection Commission, abgelöst.) Hiltermann erklärte weiter: »Wir haben heute unwiderlegbares Beweismaterial dafür, daß der Chemiewaffenangriff vom Irak, und nur vom Irak, durchgeführt worden ist. Wir wissen das auch durch Zeugnisse der Überlebenden und aus irakischen Unterlagen.«

Bis heute sind die Kriegsverbrechen weder verfolgt worden, noch wurden die Kurden, die bis heute an den Folgen zu leiden haben, entschädigt.

Für die US-Regierung waren die Kurden immer nur eine Figur auf ihrem Schachbrett. Nach Halabja und den »Anfal«-Operationen wurde in Washington geschwiegen. Heute werden die Verbrechen von 1988 benutzt, um die Kriegsverbrechen, die gegen den Irak vorbereitet werden, zu legitimieren. Das ist kein Grund, die verbrecherischen Taten des Regimes von Saddam Hussein zu bagatellisieren. Dem kurdischen Volk muß Gerechtigkeit widerfahren.

Quelle: http://www.jungewelt.de/2003/02-06/006.php


Wer bombardierte Halabja? - Ein Kriegsverbrechen in unterschiedlichen politischen Konjunkturen

Artikel von Jan Keetman in 'ak - analyse + kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis' vom 21.2.2003

Der unter dem Namen "Anfal" bekannte Giftgasangriff auf Halabja am 16. März 1988, damals abgedeckelt und verharmlost, wird heute von den USA als Kriegspropaganda instrumentalisiert. Doch auch "Friedensfreunde" in Deutschland nutzen dieses Kriegsverbrechen für ihre speziellen Zwecke.

Am Nachmittag des 16. März 1988 bemerkten die BewohnerInnen der kurdischen Kleinstadt Halabja einen seltsamen, für die meisten nicht einmal unangenehmen Geruch, etwa wie süße Äpfel, Gurken oder Parfüm. Nachdem seit fast einem Jahr rebellische kurdische Dörfer im Irak mit Giftgas bombardiert wurden, brauchte den BewohnerInnen von Halabja niemand zu sagen, was der Geruch zu bedeuten habe. Einige versuchten, die Türen in den selbst gebauten Unterständen, in die sie sich vor Bombenangriffen geflüchtet hatten, mit feuchten Tüchern abzudichten, doch Atemnot und ein Gefühl wie stechende Nadeln in den Augen zwangen sie zur Flucht. In den dämmrigen Gassen spielten sich unvorstellbare Szenen ab. Auf den Wegen und in den Toreingängen lagen die Körper toter Menschen und toter Tiere übereinander. Flüchtende lachten plötzlich hysterisch auf und brachen dann zusammen. Andere erblindeten in wenigen Augenblicken. Wer aus der Stadt kam, flüchtete zur nahen iranischen Grenze, aus Angst vor Luftangriffen häufig abseits der Wege durch vermintes Gelände.

Heute gilt der Giftgasangriff auf Halabja als Saddams schlimmste Einzeltat und als Beleg der unerhörten Grausamkeit seines Regimes. Das war in den Hauptstädten der großen westlichen Länder nicht immer so. Die Administration von Präsident Bush sen. machte Saddam erst nach der Kuwait-Invasion, gut zwei Jahre später, für Halabja verantwortlich. Unmittelbar nach dem Angriff streute Washington, der Iran oder beide Kriegsparteien gemeinsam seien für das Massaker verantwortlich. Schulter an Schulter mit Frankreich, dem westlichen Hauptwaffenlieferanten Bagdads, drang Washington auf eine völlig neutrale Resolution des Weltsicherheitsrates gegen beide Staaten, die nach sieben Wochen schließlich verabschiedet wurde. Eine andere Resolution hätte Washington auch in ernste Rechtfertigungszwänge gebracht, denn zu diesem Zeitpunkt unterstützten die USA massiv Saddam Hussein im Krieg gegen den Iran Khomeinis.

Einer der Akteure von damals, Stephen C. Pelletiere, hat sich nun wieder zu Wort gemeldet. Er war zum Zeitpunkt der Bombardierung von Halabja Professor am Army War College und nach eigenen Angaben der politische Hauptanalyst des CIA während des Irak-Iran-Krieges (1. Golfkrieg) und führend beteiligt an einer Untersuchung der Armee über die mögliche irakische Kriegsführung im 2. Golfkrieg.

Wenn Freunde zu Feinden werden

Pelletiere greift in einem Artikel in der New York Times die alte Sicht der USA wieder auf. Nach Pelletiere sei es unzweifelhaft klar gewesen, dass Halabja während einer Schlacht zwischen Iranern und Irakern angegriffen wurde. Die kurdischen ZivilistInnen hätten "das Pech gehabt", dazwischen zu geraten. Sicher seien sie aber "nicht das Hauptziel der Iraker" gewesen.

Pelletiere beruft sich außerdem auf eine Studie, die die United Staates Defense Intelligence Agency erstellen ließ, in der behauptet wird, die Opfer seien durch Zyanid umgekommen. Giftgas auf Zyanid-Basis habe aber nur die iranische, nicht die irakische Armee besessen.

Pelletieres Behauptungen sind zwar in Washington nicht mehr gefragt, beim breiten Publikum, insbesondere in Europa, lassen sie sich aber sicher unterbringen. Die junge Welt sah ihre Chance und machte aus Pelletieres Äußerungen ohne Zutaten an Recherche oder Skrupeln einen reißerischen Artikel mit der Überschrift "Bushs erfundener Genozid". Zweifel, die einem bei Pelletieres Schilderungen eigentlich kommen müssten, werden durch eine #####1 tendenziöse Übersetzung beseitigt. Das von Pelletiere als "town" bezeichnete Halabja wird gleich zwei Mal zum "Dorf", seine EinwohnerInnen zu "Dorfbewohnern", von denen "angeblich bis zu 5.000" getötet worden sein sollen. Mit der Bezeichnung "Dorf" wird sowohl die Zahl der Opfer in Frage gestellt, als auch ein Hergang als möglich suggeriert, bei dem Halabja eher zufällig getroffen wurde.

Halabja ist aber eine Kleinstadt mit gut 40.000 EinwohnerInnen. Wer auch immer gegen Halabja Giftgas einsetzte, musste wissen, dass es Tausende von zivilen Opfern geben würde, und hat dies sicher auch gewollt. Dabei spielt es nur eine Nebenrolle, dass sich in der Stadt, die am Tag zuvor vom Iran erobert worden war, tatsächlich auch iranische Soldaten aufhielten. Diese Soldaten waren zwar vor einem Giftgascocktail keineswegs sicher, aber nach jahrelangem Giftgaskrieg zumindest teilweise dagegen ausgerüstet. Ein Vergleich der Zahlen der Opfer bringt den Grad unterschiedlicher Gefährdung recht deutlich zum Ausdruck: Der Iran beziffert die Zahl seiner Kriegstoten, die während mehrerer Jahre und zahlreichen großen Schlachten unmittelbar durch Giftgas starben, mit 10.000. Für die Zahl der Toten, die Halabja dagegen an einem Nachmittag zu beklagen hatte, liegen seriöse Schätzungen zwischen 3.200 und 7.000. Diese Umstände, wie die Tatsache, dass der eigentliche Angriff zur Zurückeroberung der Stadt erst Monate später erfolgte, müssten eigentlich auch Pelletiere bekannt gewesen sein.

Die Lüge von der Blausäure

Ebenso wenig zu den Umständen vor Ort passt die Behauptung, der Iran sei für den Giftgasangriff verantwortlich gewesen. Die Stadt war ja bereits in iranischer Hand. Außerdem konnte der Iran kein Interesse daran haben, durch ein derartiges Massaker die irakischen Kurden gegen sich aufzubringen. Die Überlebenden flohen nach dem Angriff ja auch in Richtung Iran und beschuldigen seither einhellig den Irak. Wer so etwas durchgemacht hat, der flieht nicht als erstes zum Verursacher und erfindet nicht rasch aus politischen Gründen einen Schuldigen. Weder Pelletiere noch die junge Welt gehen irgendwie darauf ein, dass die Beschuldigungen gegen Saddam Hussein zuerst und immer wieder von den Opfern selbst kamen.

Die damals politisch sehr opportune Studie, die Pelletiere erwähnt, ist ebenfalls seltsam. Insbesondere aus an Opfern beobachteten Gesichtsverfärbungen schloss man auf eine Zyan-Verbindung, die die Sauerstoffaufnahme im Blut verhindert. In Frage kommt vor allem leicht flüchtige Blausäure. Ausgeklammert wurden offenbar alle Berichte über Symptome, die nicht in das Zyanid-Schema passten. Das fängt damit an, dass Blausäure einen charakteristischen Geruch nach bitteren Mandeln verbreitet. Die Überlebenden berichteten aber in ihrer Mehrheit von aromatischen Gerüchen, die nicht zu Blausäure, aber sehr wohl zu Nervengas passen könnten, das die irakische Armee zumindest damals mit Sicherheit besaß. Für die angeblichen Symptome einer Zyanid-Vergiftung sind auch andere Erklärungen denkbar. Z.B. wird vorgebracht, das Zyanid könnte sich beim Zerfall eines Nervengases mit einer Zyanid-Gruppe gebildet haben.

Christine Gosden, Professorin für Medizin in Liverpool, hat nach zehn Jahren die BewohnerInnen von Halabja untersucht und fand Schädigungen, wie sie nach Nervengas und Senfgas zu befürchten waren. Außerdem hat die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch in einer auch als Buch veröffentlichten Studie den von der irakischen Regierung "Anfal" genannten Feldzug gegen die Kurden untersucht. Darin finden sich zahlreiche Berichte über irakische Giftgasangriffe auf die Zivilbevölkerung nicht nur in Halabja. Es ist schon dreist, all diese Dinge heute immer noch einfach zu übergehen. Das war es auch schon damals. Die Studie, auf die sich die US-Regierung stützte, war nicht auf Grund genauer Untersuchungen vor Ort angefertigt worden und ihr standen zahlreiche Berichte und Aussagen von AugenzeugInnen entgegen. Auch verteidigten die USA standhaft einen Beschuldigten, der selbst keineswegs mit Händen und Füßen seine Unschuld beteuerte. Der damalige irakische Außenminister Tariq Aziz war wenige Tage nach Halabja in Bonn und meinte, nach Halabja befragt, dass man Dinge so nicht beurteilen könne, wenn man in der Zivilisation lebe. Diese "Offenheit" hat dem Irak keine Kürzung deutscher Hermesbürgschaften gekostet oder die Ausbildung irakischer Piloten in Deutschland beendet. Nebenbei waren es auch hauptsächlich deutsche Firmen, die die Giftgasfabriken bei Samarra und Falluja ausstatteten, aufbauten und warteten. Dass die Verantwortlichen, sofern sie überhaupt zur Verantwortung gezogen wurden, später mit der Behauptung davonkamen, sie hätten gedacht, da würden Kopfschmerzmittel hergestellt, lag sicherlich auch daran, dass es keinen öffentlichen Druck und Protest in dieser Sache gab. Auch die linke Öffentlichkeit interessierte sich schlicht nicht dafür.

Ein Beispiel für den zweckbezogenen Umgang mit einem Kriegsverbrechen ist Halabja in jedem Fall, nur dass dafür - was die USA angeht - eher Bush sen. als Bush jun. zu beschuldigen ist. Trotzdem wirft der Fall Halabja kein günstiges Licht auf die Glaubwürdigkeit auch der jetzigen republikanischen Administration in Washington in Sachen Menschenrechte und Massenvernichtungswaffen. Ihr gehört zwar der grummelnde Pelletiere nicht an, sonst gibt es aber viele personelle Kontinuitäten mit 1988.

Das Sterben findet immer noch statt

Während mit dem Giftgasangriff je nach Bedarf Politik gemacht wird, geraten die Opfer ganz aus dem Blickfeld. Pelletiere sind sie nur eine Größe, die er zynisch wegdiskutiert. Die USA und Großbritannien haben zwar, angeblich um Massaker wie Halabja zu verhindern, Flugverbotszonen errichtet, diese schließen aber Halabja nicht ein. Das wirkliche Desinteresse einer Welt, die in Sachen Irak scheinbar so auf den Barrikaden ist, kann man an der medizinischen Versorgung der Opfer ablesen. Als Christine Gosden für kurze Zeit in Halabja ihre Praxis aufmachte, standen am ersten Tag bereits mehr als 700 Menschen davor, die meisten mit mehr als einem ernsten Problem. Noch immer traten Hautveränderungen, heftiges Jucken und Brennen, zahlreiche Fälle von Hautkrebs und neurologische Probleme auf. Etwa die Hälfte der Bevölkerung litt an verschiedenen Krankheiten der Atemwege und viele hatten schwere Augenleiden. Die beiden letzten Probleme führte Gosden direkt auf Senfgas zurück. Bei Senfgas nehmen die medizinischen Probleme mit der Zeit nicht ab, sondern zu und zwar solange der/die Betroffene lebt. Darüber hinaus gab es zahlreiche Fälle von Unfruchtbarkeit, Missbildungen an Neugeborenen und Leukämie. Hinzu kam eine selbst unter normalen Umständen völlig unzureichende medizinische Versorgung. Im Iran, wo die Opfer weit besser versorgt und erfasst sind, sterben heute noch jeden Monat zwischen 20 und 30 Menschen an den Spätfolgen des Giftgaskrieges. Und in Halabja?

Quelle: http://www.akweb.de/ak_s/ak470/31.htm


Inmitten einer Propagandaschlacht

Über Jan Keetmans Angriff - in 'ak' vom 21.2.2003 - auf den Ex-CIA-Mitarbeiter Pelletiere, die 'junge Welt' und die 'Friedensfreunde'

Am 31.1.2003 erschien in der 'New York Times' ein ungewöhnlicher Artikel von Prof. Stephen C. Pelletiere über das Massaker von Halabja im Jahre 1988, in dem er ausführt, der Iran (nicht der Irak) sei dafür verantwortlich. Rainer Rupp hat diese Betrachtungen dem deutschsprachigen Publikum mit einem Artikel in der 'jungen Welt' vom 3.2.2003 zugänglich gemacht. Dagegen geht Jan Keetman in der Monatszeitung 'analyse und kritik - zeitung für linke debatte und kritik' in der Ausgabe vom 21.2.2003 zum Angriff über.

Jan Keetman in 'ak': "Ebenso wenig zu den Umständen vor Ort passt die Behauptung, der Iran sei für den Giftgasangriff verantwortlich gewesen. Die Stadt war ja bereits in iranischer Hand. Außerdem konnte der Iran kein Interesse daran haben, durch ein derartiges Massaker die irakischen Kurden gegen sich aufzubringen. Die Überlebenden flohen nach dem Angriff ja auch in Richtung Iran und beschuldigen seither einhellig den Irak. Wer so etwas durchgemacht hat, der flieht nicht als erstes zum Verursacher und erfindet nicht rasch aus politischen Gründen einen Schuldigen. Weder Pelletiere noch die junge Welt gehen irgendwie darauf ein, dass die Beschuldigungen gegen Saddam Hussein zuerst und immer wieder von den Opfern selbst kamen."

Um diejenigen, die angegriffen worden sind, gegen die eine oder andere Seite aufzubringen, muß den Opfern tatsächlich klar gewesen sein, von wem der Angriff ausgegangen ist. Das können die Betroffenen nicht mit Sicherheit wissen. Das können die Betroffenen nicht daraus schließen, wer bisher mit ihnen paktiert hat. Deshalb ist es auch ohne Beweiskraft, wenn die Betroffenen in eine bestimmte Richtung fliehen und ihre Beschuldigungen sich in eine bestimmte Richtung wenden. Zum Krieg gehört auch der Kampf um die öffentliche Meinung. In dieser Hinsicht hat sich der Kampf im Gefolge des Massakers zugunsten des Iran verschoben. Die Propaganda-Wirkung, von der der Spiegel am 4.4.1988 schreibt, hat ihre Wirkung getan und entsprach durchaus dem Interesse des Iran. 'Befreundete' Kurden zu 'opfern', um die Weltmeinung für sich zu gewinnen, ist deshalb eine denkbare Möglichkeit, die nicht von vornherein vom Tisch gewischt werden kann.

Mit Sicherheit können wir davon ausgehen, daß Opfer der verschiedenen Seiten für die Propaganda ganz unterschiedlichen Wert besitzen. Gerade Massaker sind dabei immer wieder ein 'beliebtes' Objekt, mit dem die öffentliche Meinung manipuliert wird. Schon mehrfach haben sie bei der Kriegspropaganda eine wesentliche Rolle gespielt, 1999 beispielsweise im Krieg der Nato gegen die Bundesrepublik Jugoslawien. Wir erinnern uns an Racak und Rogovo. Das macht mißtrauisch.

"Pelletiere sind sie [die Opfer] nur eine Größe, die er zynisch wegdiskutiert", behauptet Jan Keetman. Wie kommt er zu diesem Vorwurf? Woraus schließt er das? Im Gegensatz zu Jan Keetman, der die Folgen des Giftgasangriffs auf Halabja mit drastischen Worten beschreibt, tut Pelletiere das nicht. Pelletieres Anliegen ist die Auseinandersetzung mit der Behauptung, der Irak sei dafür verantwortlich zu machen. Darauf konzentriert er sich. Daraus einen Vorwurf zu konstruieren, ist nicht nachvollziehbar.

Jan Keetman wirft Rainer Rupp, der in der 'jungen Welt' geschrieben hat (namentlich genannt wird Rainer Rupp nicht) tendenziöse Übersetzung vor. Das von Pelletiere als 'town' bezeichnete Halabja werde gleich zwei Mal zum 'Dorf'. Mit der Bezeichnung 'Dorf' werde "sowohl die Zahl der Opfer in Frage gestellt, als auch ein Hergang als möglich suggeriert, bei dem Halabja eher zufällig getroffen wurde." Die Übersetzung mag unglücklich sein. Aber Rainer Rupp damit Böswilligkeit zu unterstellen, ist verfehlt. "Der Diktator, der die gefährlichsten Waffen der Welt ansammelt, hat sie bereits gegen ganze Dörfer eingesetzt - wodurch tausende seiner eigenen Bürger getötet, blind oder entstellt wurden..." Auch in diesem Satz ist von Dörfern (villages) die Rede. Nur stammt dieser Satz aus dem jüngsten Bericht des US-Präsidenten Georg W. Bush zur Lage der Nation. Es wäre wohl mehr als unsinnig, Bush unterstellen zu wollen, er wolle damit Saddam Hussein verharmlosen.

Jan Keetman in 'ak': "...zu diesem Zeitpunkt unterstützten die USA massiv Saddam Hussein im Krieg gegen den Iran Khomeinis." Trifft diese Behauptung zu? Wenn die USA tatsächlich einseitig den Irak unterstützt hätten, dann hätte es doch nahegelegen, die insbesondere vom Iran propagandistisch genutzten Vorwürfe gegen den Irak zu entkräften. Warum ist dann 1988 die Darstellung, der Iran sei für den Giftgasangriff verantwortlich - wie sie nach Angaben von Pelletiere im Geheimbericht des militärischen Geheimdienstes der USA zu finden ist - von den Medien nicht oder kaum verbreitet worden?

Jan Keetman behauptet allerdings: "Unmittelbar nach dem Angriff streute Washington, der Iran oder beide Kriegsparteien gemeinsam seien für das Massaker verantwortlich." Und dann heißt es dort: "Pelletiere greift in einem Artikel in der New York Times die alte Sicht der USA wieder auf." Wo ist 1988 davon zu lesen gewesen? Im 'Spiegel' beispielsweise, der mehr als zwei Wochen über Halabja nicht berichtete und bei dem davon auszugehen ist, daß er der US-amerikanischen Sicht nicht verschlossen ist, ist knapp drei Wochen nach dem 16. März 1988 von einer solchen Behauptung nichts zu lesen. Auch im 'Stern' vom 30.3.1988 nicht. Die 1988 in den deutschen Medien verbreitete Sicht war offensichtlich eine andere als die, die Pelletiere jetzt in der 'New York Times' der verbreiteten Kriegspropaganda entgegengesetzt hat und mit der er einen wesentlichen Eckpfeiler des Gebäudes zur Rechtfertigung des Angriffskrieges gegen den Irak ins Wanken bringt.

Über die Strategie der USA in Zusammenhang mit dem Krieg zwischen Irak und und Iran in den 80er Jahren gibt es andere Einschätzungen, als sie von Jan Keetman formuliert werden: "Die USA haben ... beide Seiten so mit Waffen und Satellitenfotos beliefert, daß keiner gewinnen konnte. Die Schwächung beider war das amerikanische wie israelische Ziel. 1990 haben sie ihn vom Angriff gegen Kuwait ausdrücklich nicht abgehalten." (Interview mit Andreas von Bülow in 'junge Welt' vom 8.2.2003 - geführt von Jürgen Elsässer)

Was ist das Ziel des Artikels von Jan Keetman? "Doch auch 'Friedensfreunde' in Deutschland nutzen dieses Kriegsverbrechen für ihre speziellen Zwecke", heißt es dort. Soll versucht werden, der Analyse der heute betriebenen Kriegspropaganda im Vorfeld des geplanten Krieges gegen den Irak einen Riegel vorzuschieben. Soll versucht werden die Friedensbewegung in tatsächliche und angebliche 'Friedensfreunde' zu spalten? Das kann doch wohl nicht sein. Eine starke Friedensbewegung, die sich kritisch mit der Propagandaschlacht, in der wir stehen, auseinandersetzt, ist nötiger denn je.


Noch einige Worte zu Keetman

eMail von Rainer Rupp vom 28.2.2003

Noch einige Worte zu Keetman: Jan Keetman argumentiert z.B., daß die Iraner kein Interesse gehabt haben, die Kurden mit einem Massaker gegen sich aufzubringen. Außerdem hätten sie die Stadt bereits eingenommen gehabt. Pelletiere dagegen spricht von einer Schlacht, als die Iraker zum Gegenangriff übergingen, um die Stadt zurück zu erobern. In dieser Phase der Schlacht - so die Erkenntnis der amerikanischen Nachrichtendienste damals - hätten beide Seiten (Iran und Irak) Giftgas eingesetzt. Und bei der Untersuchung der Leichen nach der Schlacht hätten die Späher der US-Geheimdienste herausgefunden, daß die meisten Leichen Spuren des iranischen Gases trugen. Aber selbst wenn die Opfer an irakischem Gas zu Tode gekommen wären, macht das doch einen Unterschied. Sie wären damit im Rahmen von Kampfhandlungen zwischen iranischen und irakischen Truppen getötet worden, die ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung mit chemischen Kampfstoffen geführt wurden. Sie wären also - so hart und grausam das klingt - Kollateralschaden (von Pelletiere) eines Chemiekrieges und nicht Opfer einer heimtückischen Vergasung geworden, wie das von interessierten Kreisen immer behauptet wird, weil auf diese Weise Saddam Hussein so trefflich in die Nähe von Hitler gerückt werden kann.

Die gleichen interessierten Kreise, die nun Pelletiere und seine ehemaligen Kollegen aus der DIA und CIA und dem Pentagon niederschreien wollen, die ihn als ehem. Geheimdienstmann abtun und ihm unterstellen, immer noch im Dienst der US-Regierung zu stehen, obwohl er ja gerade das Gegenteil von dem behauptet, was die Bush-Regierung tut, eben diese interessierten Kreise führen gerne als Kronzeugin für das angebliche Halabja Massaker die britische Toxikologin, Professor Christine Godson an. Dabei vergessen sie jedoch zu erwähnen, daß Frau Godson erst zehn Jahre nach dem angeblichen Massaker das erste Mal Halabja besuchte und dabei Bodenproben genommen und mit Zeugen gesprochen hat. Nach ihrer Rückkehr von Halabja wurde sie von dem längst zu Saddam-Gegnern mutierten US-Kongreß als Zeugin gehört. Dabei gab sie die "offizielle" kurdische-amerikanische Version wieder, dass es ein geplantes Massaker Saddams zur Bestrafung der Kurden gewesen sei.

Interessant ist jedoch, das auch Frau Godson in ihrer Zeugenaussage vor dem Kongreß, bei der sie sich auf Gespräche mit Augenzeugen in Halabja stütze, ebenfalls von Kampfhandlungen zwischen der iranischen Armee und ihren kurdischen Verbündeten einerseits und der irakischen Armee andererseits sprach, die die etwa 80.000 Einwohner große Stadt zurückerobern wollten. Dabei - so Frau Godson vor dem US-Kongreß - hätten die kurdischen Kämpfer auf Befehl ihrer Führung die Ausgänge der Stadt besetzt und die Einwohner, die vor dem bevorstehenden Angriff der Iraker die Stadt verlassen wollten, an der Flucht gehindert, weil sie die Bewohner als lebende Schutzschilde gegen die irakische Armee benutzen wollten. Sie hofften, die Iraker würden aus Rücksicht auf die Zivilbevölkerung nicht angreifen, so Frau Godson. Die Iraker haben aber angegriffen. Nur - und das ist nun Spekulation - könnte es auch so gewesen sein, daß die Iraker geglaubt hatten, die Zivilbevölkerung habe die Stadt vor dem Angriff rechtzeitig verlassen, wie das bei Kampfhandlungen in diesen Gebieten so üblich war. Dies geben z.B. Pelletiere und andere zu bedenken.

Wie auch immer, Halabja war ein schlimmes Verbrechen, aber vor dem Hintergrund der Propagandaschlacht zur Einstimmung unserer Bevölkerung auf den Krieg gegen Irak macht es einen politischen Unterschied - wie Pelletiere in der NYT schreibt - ob die Menschen als "Kollateralschaden" einer von beiden Seiten mit Chemiewaffen geführten Schlacht starben oder absichtlich und heimtükisch vergast wurden.


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