Krieg gegen den Terror - Analysen, Einschätzungen und Stellungnahmen
Geiselhaft oder Atomschlag - USA schwanken in ihrem Kurs gegen Afghanistan zwischen zwei Varianten
Artikel von Rainer Rupp in 'junge Welt' vom 20.9.2001 (Teil 2 und Schluß)

Vieles deutet darauf hin, daß Washington bei seinen Angriffsvorbereitungen auf Afghanistan zwischen zwei militärischen Optionen schwankt. Eine Option würde die Wiederholung der menschenverachtenden Strategie bedeuten, die die US-amerikanischen Militaristen bereits seit über zehn Jahren erfolglos gegen Irak praktizieren. Die andere scheint den Ersteinsatz von taktischen Atomwaffen zu beinhalten.

Ziel der im Irak angewendeten Strategie war und ist es, die gesamte irakische Bevölkerung unter enorm großen Opfern in US-amerikanische Geiselhaft zu nehmen, um auf diese Weise die Menschen zu zwingen, das Regime in Bagdad zu stürzen. Vom amerikanischen Militär ist zu vernehmen, daß nun mit der ohnehin bereits entkräfteten afghanischen Bevölkerung ähnlich verfahren werden soll. Wie im Irak ist zu erwarten, daß dabei zivile Ziele, wie die Wasserversorgung und die wenigen noch vorhandenen Kläranlagen ebenso wie andere noch intakte Objekte der zivilen Infrastruktur, von den US-amerikanischen Bombern getroffen werden sollen.

Auch die Taliban-Regierung muß darauf gefaßt sein, in amerikanische Geiselhaft genommen zu werden. So soll von ihr die Herausgabe bin Ladens erzwungen werden. Dazu wird Washington den Druck auf die Taliban verstärken und versuchen, deren Militärmacht zu dezimieren. Aber Afghanistan ist nicht das einzige Land, das sich im Visier der Vereinigten Staaten befindet.

Für die amerikanischen Militärs stellt sich jedoch das Problem, daß Präsident Bush zwar den Terroristen den Krieg erklärt hat, aber der Feind weder ein Land noch eine Regierung ist und auch keine regulären Streitkräfte besitzt. Mit dem Kunstgriff, daß "es eine Reihe von Ländern gibt, die Terroristen Zuflucht gewähren", versucht der US-Verteidigungsminister das Problem zu umgehen. Denn diese Länder hätten schließlich "Armeen und wichtige und teure Infrastrukturobjekte", die zum Ziel amerikanischer Bomber werden könnten, wenn die Regierungen dieser Länder nicht mit den USA gegen den Terrorismus zusammenarbeiten.

Offensichtlich sollen mit der im Falle Pakistans bewährten Erpressermethode auch Länder zur Zusammenarbeit gezwungen werden, eine Methode, die US-Außenminister Colin Powell harmlos als die "Herstellung einer breitestmöglichen politischen Koalition gegen den Terrorismus" bezeichnet hat.

Die andere zentrale Option, die derzeit in Washington erwogen wird, besteht im "Auslöschen ganzer Staaten", so letzten Donnerstag vom stellvertretenden US- Verteidigungsminister Paul D. Wolfowitz verkündet. In dem bevorstehenden "breit angelegten und nachhaltigen" Krieg gegen die Terroristen gehe es darum, "ihre Zufluchtsstätten zu entfernen, die Systeme, die sie unterstützen, zu entfernen und Staaten, die sie fördern, auszulöschen". Dafür würden "alle der amerikanischen Regierung zu Verfügung stehenden Mittel eingesetzt", so Wolfowitz in der Washington Post.

Das hört sich verdächtig nach dem Ersteinsatz von Nuklearwaffen an. Schließlich ist bekannt, daß es seit Ende des Zweiten Weltkrieges keine größere Krise gegeben hat, in der die Regierung der Vereinigten Staaten nicht ernsthaft den Einsatz von Nuklearwaffen in Erwägung gezogen hat.

Die Äußerung von Wolfowitz zum Auslöschen ganzer Staaten ist ein ominöses Zeichen. Und wie anders könnte man in dem schwer zugänglichen Land Afghanistan eine Guerillatruppe wie die von bin Laden ohne riesige eigene Verluste "schnell und effektiv unschädlich machen"? Wenn man das "n"-Wort in die Gleichung einführte, dann ginge das, erklärte der US-Militärexperte Dave Klimaj am vergangenen Sonntag im Worldnet Daily. "Leider sieht es so aus, als ob die Vereinigten Staaten diesmal gezwungen sind, auf schwach strahlende taktische Nuklearwaffen zurückzugreifen". So wird die Bevölkerung bereits auf den atomaren Ersteinsatz in Afghanistan und anderswo vorbereitet.

Daß es im amerikanischen Krieg gegen den Terrorismus nicht beim Einsatz von konventionellen Waffen bleiben wird, davon geht auch Thomas Friedmann aus, der beste Beziehungen ins Weiße Haus und in die anderen Machtzentralen der amerikanischen Regierung hat. In einem Leitartikel in der New York Times schrieb Friedmann kürzlich, daß "die USA zwar die erste Schlacht im Dritten Weltkrieg verloren haben", aber zugleich sei das auch "die letzte Schlacht in der Geschichte gewesen, in der lediglich konventionelle Mittel zum Einsatz gekommen sind".

Quelle: http://www.jungewelt.de


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