Krieg gegen den Terror - Analysen, Einschätzungen und Stellungnahmen
Eine Reservistenarmee in allen Landkreisen
Es ist wie einst: Gegen Demonstranten und Demokraten – da helfen nur Soldaten

Artikel von Ulrich Sander (VVN-BdA NRW), 8.3.2008

1848 hieß bei den Preußens: Gegen Demokraten helfen nur Soldaten. Am 17. November 1881 besagte im deutschen Reichstag eine „Kaiserliche Botschaft“ zur Schaffung der Bismarckschen Sozialgesetze: „Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen u.s.w., thun kund und fügen hiermit zu wissen“: „Die Heilung der sozialen Schäden“ dürfe „nicht ausschließlich im Wege der Repression sozialdemokratischer Ausschreitungen“ gesucht werden, „sondern gleichmäßig auf dem der positiven Förderung des Wohles der Arbeiter“. Nachdem nun die 125jährige Sozialgesetzgebung umkehrbar gemacht wurde, steht auch wieder an, „die Heilung der sozialen Schäden“ mittels „Repression“ vorzunehmen. Und dies mit Polizei und allen militärischen Waffengattungen, wie wir in Heiligendamm erlebt haben.

Ohne Abstimmung im Bundestag wurde die angebliche „Parlamentsarmee“ in ein weiteres Land zu einem militärischen Einsatz entsandt: Mecklenburg-Vorpommern. Mit Panzerwagen, Kriegsschiffen und Tornado-Flugzeugen. Der verfassungswidrige Einsatz im Innern anlässlich des G8-Gipfels kostete die Steuerzahler lt. Pressemeldungen zehn Millionen Euro – zusätzlich zu einem gewaltigen Rüstungsetat. Und er kostet Freiheitsrechte der Bürger.

Die Bundesregierung erklärte danach auf Anfragen, dieser verfassungswidrige Einsatz geschehe per „Amtshilfeersuchen“ ziviler Behörden. Solche Amtshilfeersuche müssten auf ihre verfassungsrechtliche Zulässigkeit geprüft werden, wenn „die Amtshilfe von verfassungsrechtlicher Bedeutung ist.“ Das sei „regelmäßig der Fall, wenn Polizeibehörden der Länder die Bundeswehr anfordern.“ Die Prüfung muss nun nicht etwa durch das Verfassungsgericht erfolgen, sondern, so die Bundesregierung, sie erfolge durch die Abteilung Recht im Verteidigungsministerium. Polizei und Bundeswehr genehmigen sich gegenseitig die Verfassungsbrüche. Dabei spielt das unter der SPD-PDS-Regierung geschaffene Polizeigesetz von Mecklenburg-Vorpommern eine traurige Rolle. So hat der Polizeiführungsstab KAVALA „mündlich kurzfristig am 6. und 7. Juni 2007 den Antrag auf Zuführung von Wasser und Verpflegung mit Hubschraubern der Bundeswehr“ gestellt, teilte die Bundesregierung mit. Der Befehlshaber des Wehrbereichskommandos hat den Antrag als „zulässig nach Artikel 35 Grundgesetz“ beurteilt und seine Durchführung angeordnet.

Den Militärbefehlshabern vor Ort wurde offenbar signalisiert, sie sollten der Polizei gegebenenfalls auch auf Zuruf unkompliziert und außerhalb aller Dienstwege zu Hilfe kommen. Das war bei den Tornado-Flügen so, beim Transport von Getränken und Lebensmitteln und auch bei der Beförderung von Polizisten mittels Hubschraubern. Das entspricht auch der Linie von Innenminister Wolfgang Schäuble und Verteidigungsminister Franz-Josef Jung, das Militär verstärkt im Inland einzusetzen. Niemand achtet darauf, wenn künftig die Bundeswehr auch Waffen und Geräte im Innern zur Verfügung stellt. Mögen aufmerksame Bürgerinnen und Bürger darauf achten!

Begründung für alles und jedes: Der Kampf gegen den Terror

Der Abbau der Freiheitsrechte wird allgemein mit dem Kampf gegen den Terror begründet, und der Terror werde von außen in unser Land getragen. Das komme dem Verteidigungsfall nahe. Bundesinnenminister Schäuble malt sogar „nukleare Angriffe“ mit schmutzigen Bomben auf unser Land an die Wand, um sein Ziel zu erreichen, z. B. durch Onlinedurchsuchungen der PC der Bürgerinnen und Bürger flächendeckend Freiheitsrechte abzubauen. Kriegsminister Jung will eine Grundgesetzänderung erzwingen, um die Bundeswehr auch zum Kriegführen im Innern des Landes legal einsetzen zu können – und wenn dieser Verfassungsbruch nicht erlaubt wird, dann werde man eben den „übergesetzlichen Notstand“ ausrufen, um gegen die Verfassung zu handeln, z.B. verdächtige Flugzeuge abzuschießen.

In Bundeswehrblättern wie „Information für die Truppe“ wird seit Jahren auf den Inlandseinsatz gegen den Terror – und das heißt gegen „Chaosgruppen wie z.B. die Gruppe der Globalisierungsgegner“ (IfdT 3/2002) eingestimmt. Per Reservistengesetz vom Februar 2005 wurden noch unter SPD-Grün über eine Million ehemalige Soldaten zusätzlich für die „Zivil-Militärische Zusammenarbeit ZMZ Inneres“, d.h. für den Einsatz im Innern bereitgestellt. Man hatte einfach das Reservistenalter von 45 Jahren auf 60 aufgestockt. Nach welchen Maßstäben die Bundeswehr ihre Einsätze gegen die Bevölkerung des jeweils besetzten Landes – also auch des deutschen Landes – ausrichtet, in welcher Tradition sie steht, das wird in dem Buch „Geheime Krieger“ des rechtsextremen Generals a.D. und ehemaligen Gebirgsjäger- und KSK-Kommandeurs Reinhard Günzel ausgeplaudert: Nach denen der Wehrmachts-„Antiterroreinheit“ Division Brandenburg.

Und eine solche Bundeswehr steht nun den zivilen Dienstellen „zur Seite“! In sämtlichen 426 Landkreisen und kreisfreien Städten wurden in den Rathäusern und Landratsämtern Kommandozentralen der ZMZ Inneres geschaffen. Ganz oben sieht die dazu gehörige Struktur so aus: Geschaffen wurde das „Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum“ in Berlin-Treptow mit Bundeskriminalamt, Bundesnachrichtendienst, Kriminal- und Verfassungsschutzämtern der Länder, Bundespolizei, Zollkriminalamt, Militärischer Abschirmdienst, Generalbundesanwalt und Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Noch 2003 lehnte der damalige Verfassungsschutzpräsident Eckart Werthebach eine solche Zentralisierung des Staatsapparats aus „historischen und rechtspolitischen Gründen“ ab; die „Assoziation mit dem Reichssicherheitshauptamt“ der Nazizeit sei zu naheliegend. Doch die Zentralisation schreitet voran: Die Einsatzführungsstäbe der Bundeswehr wie der Bundespolizei sind nunmehr in Potsdam angesiedelt, noch in unterschiedlichen Immobilien.

Die Militarisierung des Landes erreicht mit dem neuen Reservistenkonzept und der neuen „Zivilmilitärische Zusammenarbeit Inneres“ und ihre Anwendung beim G8-Gipfel einen neuen Stand. Eine neue extrem rechte Organisation entsteht, – zusätzlich zum Wirken alter und neuer Rechtsextremer in der Bundeswehr. Und das ist die Reservistenbewegung. Nicht nur die Mitglieder der Reservistenverbände werden derzeit zu Treffen und Übungen zusammengetrommelt. Alle verfügbaren rund 4 Millionen Reservisten kommen dran.


Kleine Militärpresseschau:

„Heute versuchen wir, zivil erworbene Fähigkeiten für die Streitkräfte zu nutzen. Seit ein paar Jahren werden verstärkt auch ungediente Zivilisten in die Reserve übernommen. Wir müssen einerseits nach Möglichkeiten suchen, zivile Spezialisten als Reservisten zu gewinnen. Zum anderen müssen wir Wege finden, diese flexibler einzusetzen und längerfristig an die Bundeswehr zu binden.“ (Generalleutnant Johann-Georg Dora, „Y“, 09/07)

„Die Streitkräfte müssen sich darauf verlassen können, das Personal zu bekommen, das sie benötigen. Gerade für die Rekrutierung von Reservisten mit Spezialkenntnissen sei die Wehrpflicht eine notwendige Voraussetzung.“ (Minister und Reservist Franz Josef Jung, „Y“ 05/07)

Das Berufsbild der Bundeswehr, „es ist für beiderlei Geschlecht sowohl Kämpfer und Krieger wie Gendarm, Polizist, Konstabler, Diplomat und bewaffneter Sozialarbeiter.“ (IF, 1/2007)


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